21.04.2018

Die SPD wird noch gebraucht

Die Sozialdemokraten wollen mit ihrem Parteitag am Sonntag den Startschuss für eine Erneuerung geben. Das geschieht nicht zum ersten Mal. Schon nach den schweren Wahlniederlagen von 2009 (23 Prozent) und 2013 (25,7 Prozent) hatte die SPD einen Neustart versucht. Der ist nach den schmählichen 20,5 Prozent vom September 2017 und den aktuellen Umfragewerten zwischen 17 und 19 Prozent notwendiger denn je.

Was aus der SPD wird, treibt nicht nur deren Funktionäre und Mitglieder um. Ob die Sozialdemokraten wieder eine starke linke Volkspartei werden, ist für die ganze Republik wichtig. Es geht dabei weniger um die große Vergangenheit der Sozialdemokratie. Es geht um die Zukunft dieses Landes.

Dieses Land verdankt seine jahrzehntelange politische Stabilität den beiden großen Volksparteien: der CDU/CSU, die die Wähler rechts der Mitte gebunden hat, und der SPD, die am linken Rand nur Platz ließ für Splittergruppen. Dieser Wettbewerb der beiden ehemals „Großen“ ist uns insgesamt nicht schlecht bekommen. Union und Sozialdemokraten haben sich heftig gestritten: um die Wirtschaftsordnung, um die außenpolitische Orientierung, um Bürgerrechte. Aber sie haben sich auch gegenseitig zu Kompromissen gezwungen. Im vergangenen Jahrzehnt hat die SPD sogar sehr deutlich die Sozialpolitik von CDU/CSU beeinflusst. Das war nicht zum Schaden der Arbeitnehmer.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Das alte sozialdemokratische Milieu wurde gleichsam wegmodernisiert.

Der kleine Mann ist groß geworden. Die Industrie schrumpft und mit ihr Zahl der Facharbeiter. Der Arbeitnehmer von heute wiederum ist viel selbständiger als sein Vater es war. Der Vormarsch der Akademiker ist unaufhaltsam, die Arbeitnehmerschaft insgesamt so heterogen wie noch nie. Das hat auch die Gewerkschaften als Hilfstruppen der SPD nachhaltig geschwächt. Zudem haben die Sozialdemokraten gleich an zwei Parteien Wähler abgeben müssen, die zum Teil „Fleisch vom Fleisch der SPD“ sind: an die Grünen wie an die Linke. Und seit neuestem auch noch an die ganz rechte „Alternative“.

Wenn die SPD wieder Boden gutmachen will, dann ist sie gut beraten, ihre Theoretiker auf politikwissenschaftliche Seminare zu schicken, und ihrer potentiellen Klientel ganz konkrete Vorschläge für die drängendsten Probleme zu erarbeiten: für ein finanzierbares Sozialsystem, für erschwinglichen Wohnraum in Ballungsgebieten, für eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls und – last not least – für eine nüchterne Behandlung der mit der Zuwanderung verbundenen Herausforderungen, der finanziellen wie der kulturellen.

Machen wir uns nichts vor: Die Zeiten, in denen Union und SPD zusammen weit mehr als 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinten, kommen nicht wieder. Dafür ist unsere Gesellschaft zu vielschichtig und vielfältig geworden. Aber alle Umfragen zeigen, dass die SPD durchaus das Potential hat, wieder über 30 Prozent zu kommen. Das wird ihr jedoch nur mit praktischer Politik gelingen, niemals mit linken, demokratietheoretischen Spielereien.

Ja, die SPD wird noch gebraucht – auch von denen, die nicht zu ihren Anhängern zählen. Denn nur eine starke SPD kann die Radikalinskis von der Linkspartei dahin drängen, wo sie hingehören – in die Bedeutungslosigkeit. Und nur eine starke SPD kann Menschen, die sich abgehängt fühlen, davon abhalten, den Rechtspopulisten nachzulaufen.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 21. April 2018.


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