19.01.2019

Das neue CSU-Projekt: „37 Prozent plus X“

Nicht jedem Abschied wohnt ein Zauber inne. Die 3739Tage Horst Seehofers als CSU-Vorsitzender enden in der „Kleinen Olympiahalle“ eher geschäftsmäßig als sehr emotional. Seehofer hat 2008 nach dem Wahldebakel Günter Becksteins die Partei gerettet, hat Bayerns Spitzenposition unter den Bundesländern ausgebaut, mit ihm hat die CSU 2013 zum letzten Mal die absolute Mehrheit der Mandate erkämpft. Aber mit seinen trickreichen Versuchen, Markus Söder als Nachfolger zu verhindern und seiner für die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU lebensgefährlichen Kontroverse mit Angela Merkel hat er sich selbst schwer geschadet. Die CSU scheint irgendwie erleichtert, dass das Parteikapitel Seehofer abgeschlossen ist.

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Dar Tagungsort „Kleine Olympiahalle“ in München symbolisiert den Zustand der CSU. Die Partei muss sparen und der Parteitag ist dementsprechend eine Sparversion früherer Heerschauen. Die Organisation war auch schon besser. Als Seehofer und Söder mit großem Gefolge in die Halle einziehen, merkt das kaum ein Delegierter. Aus den Lautsprechern tröpfelt einschläfernde Fahrstuhlmusik. Der Beifall ist ausgesprochen spärlich. Als Generalsekretär Markus Blume die Spitzenpolitiker begrüßt, erhält der Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber, ebenfalls deutlich mehr Applaus als der scheidende Vorsitzende.

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Seehofer Abschiedsrede ist keine umfassende Bilanz, kein Vermächtnis, auch keine Abrechnung. Seine einziger Rat an die eigene Partei: „Verachtet mir die kleinen Leute mit.“ Eher nüchtern bilanziert Seehofer, dass die Zeit von „50 Prozent plus X“ vorbei sei. Er nennt zwei Gründe: den Einzug der Freien Wähler in den bayerischen Landtag im Jahr 2013 und das Aufkommen der AfD. Deren Erfolg begründet er zurückhaltend „mit bestimmten Rahmenbedingungen, die primär nicht in München gesetzt wurden.“ Soll heißen: Merkel und ihre Flüchtlingspolitik sind schuld. Aber Seehofer nimmt den Namen der Kanzlerin nicht in den Mund.

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Seehofer geht - und fühlt sich unverstandnen, zudem angesichts seiner Verdienste schlecht behandelt. Das sagt er nicht direkt. Seehofer demonstriert aber, dass er ein Meister der Andeutungen ist. Von den 73 Jahren in der Geschichte habe er, so sein Resümee, zwei Drittel „an vorderer und vorderster Front mitgewirkt.“ In dieser Zeit habe er „vieles hingenommen und geschluckt, nie darüber geredet.“ Aus diesen Worten sprach Verletztheit.

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Die Delegierten hören der kurzen, nicht einmal 20 Minuten langen Abschiedsrede geschäftsmäßig zu. Natürlich gibt es zum Abschluss „standing ovations“. Aber das ist kein herzlicher Abschied, da schwingt kein großes Bedauern mit. Zumal es auch kein „richtiger“ Abschied ist. Schließlich bleibt Seehofer als Bundesinnenminister auf der politischen Ebene präsent. Wie hatte doch Seehofer seine aktuelle Gemütslage beschrieben? „Dankbarkeit und Erleichterung.“ Es dürfte ihm gehen, wie vielen anderen Spitzenpolitikern: Der Nachruhm wächst mit dem Abstand zum Amt.

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Kein Lorbeerkranz für Seehofer, aber auch keine Vorschusslorbeeren für Söder als Parteivorsitzender. Sein Wahlergebnis ist mit 87 Prozent ehrlich, solide und etwas besser als die 83 Prozent, die Seehofer bei seiner letzten Wiederwahl erzielte. Die Partei erkennt an, dass Söder bei der Landtagswahl in schwieriger Lage wie ein Löwe gekämpft hat. Aber man will ihm auch keinen Blanko-Scheck ausstellen. Der nimmt es mit Humor. Seine Wahl gelte ja nur bis zum nächsten regulären Parteitag in etwas sechs Monaten, sagt er. „Bis dahin können wir uns weiterentwickeln.“

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Dieser Parteitag beendet nicht nur die Ära Seehofer. Er könnte auch insofern zum Wendepunkt in der Geschichte der Partei werden, als sich die Gefechtslage für die CSU dramatisch verändert hat. Im neuen 6-Parteien-System geht es nicht mehr um die absolute Mehrheit. Statt Alleinregierung lautet das strategische Ziel, so stark zu bleiben, dass ohne die CSU in Bayern nicht regiert werden kann. In der „Kleinen Olympiahalle“ richtete sich die CSU auf neue Zeiten ein. Bei den letzten drei Wahlen - Europa, Bund, Land, blieb sie jeweils unter 40 Prozent. Das werden „37 Prozent plus großes X“ zu einem durchaus ehrgeizigen Ziel.

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Ein Neubeginn ist der Parteitag auch im Verhältnis zur CDU. Schon beim Einzug der neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer klatschen die Delegierten lauter als bei der Ankunft Seehofers. Und „AKK“ trifft die Stimmungslage in der Schwesterpartei - mit scharfen Angriffen auf Grüne und AfD, mit Dank an Seehofer für dessen Einsatz für die „kleinen Leute“, mit ihrer deutlichen Betonung der Gemeinsamkeiten von CDU und CSU. Und im übrigen hält die CDU-Vorsitzende es wie Seehofer und Söder: die SPD ist ihr keiner Erwähnung wert.

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 19. Januar 2019.


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