05.05.2019

Political Fiction: Nachrichten aus dem Kühnert-Deutschland

Nichts ist schwerer vorherzusagen als die Zukunft. Aber mit etwas Phantasie lässt sich ausmalen, wie es in dem neuen sozialistischen Deutschland aussehen könnte, das Juso-Chef Kevin Kühnert mit religiösem Ernst anstrebt. Regiert wird dieses Land von einer rot-rot-grünen Koalition. Die SPD ist die stärkste der drei Parteien, weil sie mit ihrem scharfen Linkskurs die Grünen überflügelt hat - zu Lasten der Linkspartei.

Die „Koalition der sozialen Gerechtigkeit“, wie #r2g von den öffentlich-rechtlichen Medien stets bezeichnet wird, hat ihr zentrales Wahlversprechen wahr gemacht: Mieter werden nicht mehr von kapitalistischen Miethaien ausgebeutet. Denn es gibt keine privatwirtschaftlichen Wohnungskonzerne mehr. Auch Privatleute vermieten nicht länger Wohnungen, weil jeder nur noch die eine Immobilie besitzen darf, die er selbst bewohnt. Hat er mehr Wohnungen, wird er enteignet. Mehr als 80 Prozent aller Wohnungen befinden sich jetzt im Besitz staatlicher Wohnungsgesellschaften oder gemeinwirtschaftlicher Genossenschaften. Die haben in den meisten Fällen die Mieten gesenkt. Da dadurch das Geld für Instandhaltung und Modernisierung fehlt, werden die Mieter aufgefordert, freiwillige Wohnumfeld-Verschönerung-AGs zu bilden. Sie setzen jeweils samstags in Eigenregie verstopfte Toiletten wieder instand, reparieren defekte Türen oder verputzen Löcher im Treppenhaus. Die Hausgemeinschaften sollen, wie der Regierungssprecher fast täglich versichert, das beim gemeinsamen Werkeln entstandene Gemeinschaftsgefühl sehr schätzen.

Ausbeuterische Wohnungsbesitzer kaltgestellt

Durch die Enteignung ausbeuterischer Wohnungsbesitzer steht der Bundesfinanzminister vor einer doppelten Herausforderung: Er braucht Unsummen zur Entschädigung der Altbesitzer und viele Milliarden zum Bau neuer, ökologisch-korrekter und zudem äußerst preiswerter Wohnungen. Er behilft sich mit einem Trick: Die Entschädigung erfolgt in Form von staatlichen Schuldverschreibungen, die zu 0,1 Prozent verzinst und erst in 50 Jahren fällig werden. Der Bau neuer Sozialwohnungen wird mit Krediten finanziert und von einem öffentlichen Wohnungsbaukonzern durchgeführt. Sein Aufsichtsrat ist paritätisch aus Gewerkschaftern und Mietern zusammengesetzt, sein Vorstand besteht aus erfahrenen Wohnungsbaupolitikern der drei Regierungsparteien. Per Gesetz ist ein Drittel aller neuen Wohnungen für Menschen mit Migrationshintergrund reserviert. Einsprüche der Mietervertreter gegen diese Regelung sind laut dem „Gute-Wohnungen-Gesetz“ wirkungslos.

Die großen Automobilhersteller VW, Daimler, BMW, Opel und Ford wurden in mitarbeitereigene Automobilgenossenschaften umgewandelt. Bei ihnen laufen ausschließlich noch E-Autos vom Band. Da alle Kernkraftwerke ebenso stillgelegt worden sind wie alle Kohlekraftwerke, kommt es immer wieder zu Stromausfällen, vor allem nachts, wenn die E-Autos an den E-Zapfsäulen hängen. Defizite bei der Energieversorgung lassen sich selbst durch den großzügigen Import von Atomstrom aus den umliegenden europäischen Ländern nur bedingt vermeiden.

Autofahren wird rationiert

Folglich wird das Autofahren rationiert. Autos mit einer geraden Endziffer auf dem Nummernschild dürfen nur an Tagen mit geradem Datum fahren, solche mit ungeraden Endziffern an den anderen. Da die Zahl der ungeraden Tage größer ist als der der geraden, arbeitet der Ethikbeirat der Regierung an einem Gutachten über die Frage, ob der Einzelne noch ein Recht auf Gleichbehandlung hat, wenn es um das Überleben der Menschheit geht. Es deutet sich an, dass der Rat sich für eine Einschränkung von Individualrechten entscheiden wird.

Ungeklärt ist die Entschädigung der bisherigen Aktionäre der Autokonzerne; darüber müssen die Gerichte noch entscheiden. Die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag hat jedoch im Gerechte-Verteilung-Gesetz beschlossen, die Vergesellschaftungspolitik ungeachtet kommender Urteile fortzuführen. Ein Minister zitiert dazu SPD-Altmeister Herbert Wehner, der beim Bundesverfassungsgericht anhängige Klagen gegen die Ostpolitik der Regierung Brandt so kommentiert hatte: „Wir lassen uns von den Arschlöchern in Karlsruhe doch nicht unsere Politik kaputtmachen.“

Kevin Kühnert, der geistige Vater des neuen Deutschlands, lehnt es grundsätzlich ab, dass „Leute Rendite erwirtschaften mit etwas, was andere zum Leben brauchen“. Dieser Gedanke war die Initialzündung zur Verstaatlichung auf dem Wohnungsmarkt gewesen. Nunmehr wird in den Rot-Rot-Grün nahestehenden Think Tanks die Frage erörtert, ob nicht nur Vermieter, sondern auch andere Berufsgruppen Geld damit verdienen, dass sie die Grundbedürfnisse ihrer Mitmenschen befriedigen. So verdienen Bäcker und Metzger skrupellos am Hunger ihrer Mitmenschen, ebenso Landwirte, die über den Eigenbedarf hinaus produzieren. Ganz zu schweigen von den Ärzten, deren Einkommen und Vermögen umso höher sind, je schlechter es um die Volksgesundheit bestellt ist. Ebenso verwerflich handelt nach diesen Maßstäben die Pharmaindustrie. Doch hat die Regierung hier die Weichen noch nicht in Richtung Verstaatlichung und Vergesellschaftung gestellt, weil der Finanzminister nicht weiß, wie er auch noch diese Entschädigungszahlungen aufbringen soll. Sein Mantra: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank.“

Niemand muss mehr arbeiten

Nach längeren internen Kontroversen hat sich die „Koalition der sozialen Gerechtigkeit“ auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle geeinigt. Jedem Bürger stehen nach dem „Humane-Versorgungs-Gesetz“ monatlich 1200 Euro zu, ob er arbeitet oder nicht. Nichtarbeit muss nicht begründet werden. Von Geburt an hat jeder Einwohner ein Grundrecht auf lebenslange Alimentierung durch die Allgemeinheit. Die Kosten sollen durch eine schärfere Besteuerung der noch Arbeitenden erwirtschaftet werden, ebenso durch eine Vermögenssteuer mit einem Steuersatz von 90 Prozent für Vermögen über 1 Million Euro, ebenso durch eine ebenso gestaltete Erbschaftssteuer. Um einer drohenden Kapitalflucht zuvorzukommen, hat Rot-Rot-Grün die Devisenbewirtschaftung eingeführt. Überweisungen ins Ausland von mehr als 10.000 Euro pro Person und Jahr müssen vom Finanzministerium genehmigt werden. Dabei wird von Amts wegen geprüft, ob sie im gesamtgesellschaftlichen Interesse sind.

Eine zentrale Rolle nimmt das neu geschaffene Ministerium für Sinnstiftung (MfS) ein. Seine Aufgabe ist es, das Kevin-Motto „Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden“, in konkrete Politik umzusetzen. Darüber wird in den MfS-Amtsstuben fleißig nachgedacht. Auch ganze Heerscharen von (gut dotierten) Sozialwissenschaftlern arbeiten mit an der Beantwortung der Frage, was zu den wichtigsten Determinanten „unseres Lebens“ gehört. Übereinstimmung herrscht, dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen eine gesellschaftliche beziehungsweise staatliche Aufgabe ist. Aber noch sind sich die Experten für eine neue Gesellschaft nicht einig darüber, ob nicht etwa auch in die Berufswahl der Sozialstaatsuntertanen eingegriffen werden muss, wenn es beispielsweise zu viele Juristen und zu wenige Krankenpfleger gibt. In einem Punkt herrscht jedenfalls Einigkeit: Je mehr Soziolog*innen, Politolog*innen, Genderforscher*innen, Quotenspezialist*innen und Gleichstellungsvorkämpfer*innen tätig sind, umso besser die Bewusstseinsbildung der Menschen und umso höher das kollektive Glücksgefühl.

Ja, so könnte sie aussehen, die neue sozialistische Republik auf deutschem Boden. Zugegeben: Dies ist nur eine Fiktion. Aber es gibt nicht wenige, die von einer solchen Volksrepublik träumen.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 5. Mai 2019.


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