23.02.2020 | Neue Zürcher Zeitung

Eine Zeitung schreibt Zeitgeschichte

Was die NZZ für die Schweiz, ist die «Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland». 70 Jahre nach dem ersten Erscheinen am 1. November 1949 legt der Würzburger Historiker Peter Hoeres ein Werk mit Substanz zur FAZ vor. Der Verfasser hat nicht nur Gespräche mit (ehemaligen) Redaktoren geführt, sondern konnte nach längerem Hin und Her auch interne Protokolle von Herausgeber- und Redaktionssitzungen einsehen. Obwohl keine Auftragsarbeit, kommt die Studie zu einem für die FAZ recht günstigen Urteil, ohne deswegen apologetisch zu sein.

Das kurzweilig geschriebene Buch handelt nicht brav chronikartig Jahr für Jahr ab, sondern greift markante Vorgänge heraus. Besonderes Interesse verdienen die Exkurse, etwa zur Kritik an der Zeitung, zu Layoutreformen, Bildern, Karikaturen, zum Regional-, Sport-, Reisejournalismus sowie zu Sprachwandel und Frequenzanalyse. Der letzte Aspekt wäre durch stärkeren Einbezug anderer Zeitungen noch überzeugender gewesen, um das FAZ-Spezifische zu erkennen.

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Das Alleinstellungsmerkmal der Zeitung: Sie hat keinen Chefredaktor, sondern mehrere gleichberechtigte Herausgeber. Im Laufe der Jahrzehnte ist es zu vier Entlassungen gekommen. Deren Geschichte zeichnet Hoeres nach, ohne letzte Klarheit über die Hintergründe zu erlangen. Paul Sethe musste 1955 gehen, weil er der Westbindungspolitik Konrad Adenauers Kontra gab, Jürgen Tern wegen seiner Unterstützung der Ost- und Deutschlandpolitik Willys Brandts, Hugo Müller-Vogg 2001 wegen harter konservativer Grundpositionen, und der für Wirtschaft verantwortliche Holger Steltzner, Kritiker des Euro, 2019 aufgrund eines Zerwürfnisses, das Hoeres auch nicht erhellen konnte. Neben politischen Gründen spielten ebenso atmosphärische Spannungen eine Rolle. (…)

(Quelle: NZZ am Sonntag, 18. Januar 2020)