08.01.2021

Die neue Rolle der FDP: Grün-Rot-Rot verhindern

Die Freien Demokraten sind schon optimistischer in ein neues Jahr gestartet als bei ihrem diesjährigen virtuellen Dreikönigstreffen. Der leere Saal des Stuttgarter Staatstheaters spiegelte nicht nur den durch Corona hervorgerufenen Ausnahmezustand wider; er passte auch zu den schlechten Umfragewerten der Partei. Von den stolzen 10,7 Prozent bei der letzten Bundestagswahl sind laut Umfragen gerade einmal 6 Prozent geblieben. Noch düsterer sieht es bei den anstehenden Landtagswahlen aus. In Rheinland-Pfalz und Thüringen muss die FDP um den Wiedereinzug in den Landtag bangen, in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind die Chancen auf eine Rückkehr gering.

Umso wichtiger ist für die Partei die Bundestagswahl im September. Die FDP hat aus ihrem Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen vor drei Jahren gelernt. Christian Lindner lässt keinen Zweifel daran, dass die Liberalen im Bund wieder mitregieren wollen. Doch anders als in den guten alten Zeiten der Lagerwahlkämpfe – Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün – werden die Freien Demokraten zur Mehrheitsbildung nicht mehr automatisch benötigt. Nichts deutet auf eine mögliche CDU/FDP-Mehrheit hin. Auch die Aussichten auf eine Koalition aus Grünen, SPD und FDP sind eher gering. Die einstige Funktionspartei FDP scheint mit Blick auf künftige Mehrheitsbildungen keine Funktion mehr zu haben.

Daraus zu folgern, die Freien Demokraten wären in unserem Sechs-Parteien-System überflüssig geworden, wäre indes falsch. Denn der Bundestagswahlkampf wird zu einer Schlacht um die Grundfrage, wieviel Staat wir wollen und wieviel Markt wir brauchen – und umgekehrt. Die Bekämpfung der Corona-Folgen mit milliardenschweren Programmen trifft nämlich auf eine gefährliche Sehnsucht vieler Menschen nach einem starken, überall eingreifenden Staat. Da bedarf es einer Stimme, die darauf hinweist, dass kein Staat fehlende Umsätze und Gewinne auf Dauer ersetzen kann. Da tut niemand so unmissverständlich wie die Freien Demokraten.

Bei den anstehenden Wahlen steht uns auch eine hitzige Debatte über eine angeblich notwendige Umverteilung ins Haus, das heißt über Steuererhöhungen und die Besteuerung von Vermögen. Wobei man nicht übersehen sollte, dass die Neigung in der Bevölkerung, „die Reichen“ zur Kasse zu bitten, durch die Pandemie gewachsen ist. Der Frage, ob wirtschaftliche Vernunft oder ein diffuses Streben nach Gerechtigkeit Vorrang haben soll, kann im Wahljahr 2021 entscheidende Bedeutung zukommen. Die Antworten der FDP sind eindeutig.

Bei einem anderen Thema ist es ebenfalls wichtig, im politischen Stimmengewirr eine liberale Stimme zu vernehmen: bei den Bestrebungen, bestimmten Minderheiten Vorrang vor der Meinung der Mehrheit einzuräumen. Das gilt mit Blick auf die häufig undemokratischen Methoden von „Klimaschützern“ ebenso wie für den Ruf nach immer mehr Sonderrechten für immer mehr Minderheiten. Hier kann die FDP sich ebenfalls positionieren und profilieren.

Die Freien Demokraten sind keineswegs überflüssig geworden, wie manche „Grabredner“ immer wieder behaupten. Die FDP kann zum entscheidenden Faktor bei der Verhinderung einer grün-rot-roten oder rot-grün-roten Regierung werden. Grüne, SPD und Linke kommen derzeit auf 43 bis 45 Prozent der Stimmen, zu wenige, um in einem Sechs-Parteien-Mehrheit die Kanzlermehrheit zu erreichen. Sollte die FDP bei der Bundestagswahl dagegen an der 5-Prozent-Hürde knapp scheitern, dann sähe die Rechnung anders aus. Dann könnte es für eine Koalition reichen, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen mit hohen Steuern und zahllosen Vorschriften gängelt, dem Umweltschutz mehr oder weniger alles unterordnet und Genderstudies den Vorrang vor Wirtschaftswachstum gibt.

Es stimmt: Die FDP hat ihre Funktion als Mehrheitsbeschaffer für die alten Volksparteien eingebüßt. Aber ihr könnte eine neue Rolle zukommen: als Schranke gegen Grün-Rot-Rot und somit als Verhinderer einer Regierung unter Beteiligung der Linken. Die Frage, ob die Freien Demokraten nach der Bundestagswahl in der Opposition bleiben oder mitregieren, ist im Vergleich dazu eher zweitrangig.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 7. Januar 2021


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