02.09.2021

Ein Bäckermeister bringt Baerbock ins Stolpern

Die Grünen treibt eine Sorge um: dass noch mehr ihrer potentiellen Wähler zur SPD abwandern. Denn deren Chancen, stärkste Fraktion zu werden und den Kanzler zu stellen, sind inzwischen deutlich größer als die der Grünen. Das Gegenrezept: Die Öko-Partei setzt auf die soziale Karte. Das wurde auch am Mittwochabend deutlich, als Annalena Baerbock in der "Die ProSieben-Bundestagswahl-Show" zu Gast war. Sie wurde recht freundlich befragt vom perfekt „gendernden“ Moderator Louis Klamroth und etwas kritischer von Studiogästen aus verschiedenen Berufen und Bevölkerungskreisen.

Natürlich ist und bleibt die Klimapolitik das grüne Kernthema. Aber immer stärker rücken die Grünen die Sozialpolitik ins Zentrum ihres Wahlkampfes. Das wurde deutlich, als die Kanzlerkandidatin ihre drei wichtigsten Ziele nannte: Erstens Klimapolitik, zweitens „die soziale Spaltung angehen“, drittens eine aktive Außenpolitik. Was nichts anderes heißt, als dass die Sozialdemokraten, der einstige Traumpartner, hier nicht viel geliefert haben – die CDU/CSU aus Sicht der Grünen noch weniger.

Baerbock kommt bekanntlich „aus dem Völkerrecht“, nicht aus der Nationalökonomie. Das erleichtert es ihr, das Ziel eines klimaneutralen Landes – zumindest verbal – mit einer großzügigen Sozialpolitik zu verbinden. Zu ihrem Programm gehören 12 Euro Mindestlohn, mindestens 600 Euro Hartz-IV ohne Überprüfung der Arbeitswilligkeit der Empfänger, 75 Euro Klimaprämie pro Jahr. Wobei ihr eine angehende Studentin vorrechnete, dass jährlich 75 Euro nicht ausreichen werden, die höheren Benzinkosten auszugleichen.

Noch einen weiteren „Show“-Gast konnte die Kandidatin nicht überzeugen: den Bäckermeister, bei dem sie als Schülerin gejobbt hatte. Er lobte seine ehemalige Aushilfe ob ihrer Pünktlichkeit, rechnete ihr aber vor, dass bei einem Lohnkostenanteil von 50 Prozent eine Anhebung des Mindestlohns um 25 Prozent zu Preissteigerungen führen müsste. Das wiederum würde die kleineren Betriebe im Wettbeerb gegenüber den Supermärkten noch mehr benachteiligen. Baerbocks Vorschlag, die Bäcker müssten eben ihre höheren Preise mit einem „Qualitätssiegel“ rechtfertigen, konnte ihren Ex-Chef freilich nicht überzeugen. Der kann nämlich rechnen.

Dass die Grünen „die Reichen“ stärker zur Kasse bitten wollen, ist bekannt: höherer Spitzensteuersatz plus Vermögensteuer. Baerbocks Parteifreund Danyal Bayaz, Finanzminister in Baden-Württemberg, hat jetzt sogar ein Online-Portal eingerichtet, auf dem Bürger – anonym – die Steuervergehen anderer anzeigen können. Dieses neugeschaffene Tätigkeitsfeld für anonyme Hilfs-Sheriffs fand Baerbock so gut, dass sie etwas Ähnliches auch im Bund einrichten will. Sie nutzte das Thema Steuerkriminalität für einen Seitenhieb auf Olaf Scholz: „Da hätte sich der aktuelle Finanzminister auch schon drum kümmern können“. Man spürte: Den Grünen macht der Aufstieg der SPD aus ihrem Umfrage-Tief schwer zu schaffen.

Ein Thema wird bis zum 26.September wohl bei keinem Talk-Format ausgeklammert: die Frage nach Rot-Grün-Rot. Baerbock versicherte, sie halte nichts davon, dies schon vor Koalitionsgesprächen auszuschließen. Demokratische Parteien müssten miteinander koalieren können. Zugleich meinte sie, die Linken hätten sich bereits selber ausgeschlossen, weil sich die meisten ihrer Bundestagsabgeordneten enthalten hätten, als es um die Evakuierung von Menschen durch die Bundeswehr aus Afghanistan ging. Was eigentlich die Nachfrage nahegelegt hätte, warum Baerbock ein Bündnis mit den Linken nicht ausschließen wolle, wenn diese sich doch selber ausschlössen. Doch Klamroth ahnte wohl, dass er keine präzise Antwort bekommen hätte.

Nein, Baerbock und die Grünen betreiben keinen Ein-Themen-Wahlkampf; sie konkurrieren auch mit der SPD in der Sozialpolitik. Ein Thema blieb in der 90-minütigen „Show“ (einschließlich Werbepausen) ausgespart: Wie dieses Land wirtschaftlich vorankommen kann, wie es den Rückstand bei Innovation auf vielen Gebieten wieder wettmachen könnte. Der Moderator fragte nicht danach und die Kandidatin griff das Thema auch nicht selber auf.

Erst ganz zum Schluss ging es kurz um Wirtschaftspolitik. Der Berliner Start-up-Unternehmer Tao Tao („Get Your Guide“) hat kürzlich mit mehreren Jungunternehmern insgesamt eine halbe Millionen Euro an die FDP gespendet, um einen Politikwechsel zu erreichen. Der hatte eine einfache Frage an die Kanzlerkandidatin: Wie sie ihm helfen könne, eine ausgebildete IT-Fachkraft „ins Hochsteuerland Deutschland“ zu locken? Baerbock hatte da nicht mehr zu bieten als die Ankündigung eines besseren Einwanderungsgesetzes. Wen aber die hohen Steuern abschrecken, dem liegt wohl nichts an einer leichter zu bekommenden Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.

"Die ProSieben-Bundestagswahl-Show" erwies sich als recht munteres Format, in dem es auch um Persönliches, aber doch schwerpunktmäßig um Politisches ging. Annalena Baerbock nutzte es, um sich als schlagfertig, zugewandt und optimistisch zu präsentieren. Fragen, die ihr nicht behagten, beantwortete sie mit einem Redeschwall, der mit dem eigentlichen Thema oft nichts zu tun hatte. Der Moderator mühte sich redlich, die Kanzlerkandidatin zum eigentlichen Thema zurückzuführen. Das gelang ihm nicht immer.

Fazit: Baerbock konnte ihre Botschaft platzieren: Wir Grüne sind auch eine Sozialstaatspartei. Man könnte ihren Auftritt so zusammenfassen: Klima first, Soziales second, Wirtschaft gar nix.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 2. September 2021


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