12.05.2022

Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:
Alles ist möglich – aber nichts ohne die Grünen

Nichts gegen Schleswig-Holstein. Aber was das dortige Wahlergebnis bundespolitisch ausgelöst hat, war eher ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem, was die Wahl in Nordrhein-Westfalen auslösen könnte. Ob die CDU die Staatskanzlei in Düsseldorf verteidigen kann oder für die SPD räumen muss, wird die Berliner Ampel-Parteien sowie die CDU/CSU-Opposition ungleich stärker berühren als der Günther-Sieg an der Kieler Förde.

Sofern die Demoskopen nicht völlig falsch liegen, gibt es nur eine Gewissheit: Für Schwarz-Gelb wird es nicht mehr reichen. Dafür ist die CDU (30-31 Prozent) nicht stark genug und die FDP zu schwach (7-8 Prozent). Für Hendrik Wüst als Nachfolger des glücklosen Armin Laschet war die Zeit zu kurz, um sich als allseits anerkannter Landesvater zu profilieren wie Daniel Günther in Kiel. Der FDP wiederum fehlt jeglicher Rückenwind aus Berlin, wie schon das schlechte Abschneiden an der Saar und in Schleswig-Holstein gezeigt hat.

Abgesehen von der nahezu ausgeschlossenen Möglichkeit einer Großen Koalition, die es an Rhein und Ruhr noch nie gegeben hat, läuft alles auf die Alternative Jamaika oder Ampel hinaus. Dabei spielt es keine Rolle ob die CDU mit Wüst stärkste Kraft bleibt oder die SPD mit Thomas Kutschaty (28-29 Prozent) sie überholen kann. Falls es rechnerisch für die Ampel-Parteien reicht, werden SPD und Grüne (16-18 Prozent) nichts unversucht lassen, die FDP für ein solches Bündnis zu gewinnen. Die stärkste Fraktion hat in unserem parlamentarischen System den moralischen Anspruch auf den Parlamentspräsidenten - und sonst auf nichts.

Die Grünen werden in Düsseldorf ihre alte Liebe SPD vorziehen

Dass die SPD auch als zweitstärkste Kraft lieber den Ministerpräsidenten stellt als die größte Oppositionsfraktion, liegt auf der Hand. Die Grünen werden in Düsseldorf ihre alte Liebe SPD als Regierungspartner einer Jamaika-Konstellation mit CDU und FDP vorziehen. Zum einen sind die NRW-Grünen deutlich linker oder fundamentalistischer als ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg, Hessen oder Schleswig-Holstein. Zum anderen liegt ihnen - ebenso wie der SPD - sehr daran, mit Ampeln in möglichst vielen Ländern die für die Bundesregierung ungünstigen Machtverhältnisse im Bundesrat zu verbessern.

Die CDU wird bei unklaren Mehrheitsverhältnissen zu sehr vielen Zugeständnissen an Grüne wie FDP bereit sein, um die Staatskanzlei zu verteidigen. Regieren ist immer die beste Option. Zudem würde die Neuformierung der CDU im Bund einen schweren Rückschlag erleiden, würde sie nach dem saarländischen auch noch den ungleich wichtigeren Posten des nordrhein-westfälischen Regierungschefs verlieren. Für den seit Januar die Partei wie die Fraktion führenden Friedrich Merz wäre das ein herber Rückschlag. Gut möglich, dass dann in der CDU neue Personaldiskussionen und Richtungskämpfe ausbrächen.

Der FDP könnte eine Schlüsselrolle zufallen

Falls große Veränderungen in der politischen Stimmung bis Sonntag ausbleiben, könnte den Freien Demokraten eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zufallen - ungeachtet ihrer zu erwartenden Verluste. Der FDP ist wohl bewusst, dass ihre Koalition mit zwei linken Parteien im Bund vielen ihrer Anhänger nicht gefällt. Eine weitere Ampel in NRW würde zu Recht als Lagerwechsel der FDP verstanden - von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün-Gelb. Eine Regierungsbildung an der Seite der CDU wäre hingegen der Beleg für die Entschlossenheit der Freien Demokraten, sich nicht auf ein Lager festzulegen oder festlegen zu lassen.

Landtagswahlen in NRW waren immer kleine Bundestagswahlen. Hier lebt jeder dritte in Deutschland wahlberechtigte Bürger. Und diese Wähler haben mit ihrem Votum schon häufig die Bundespolitik stark beeinflusst. An diesem Sonntag geht es für die CDU darum, gegenüber der Berliner Ampel keinen weiteren Boden zu verlieren. Die SPD wiederum muss den Nachweis erbringen, dass das von Olaf Scholz ausgerufene sozialdemokratische Jahrzehnt nicht schon sieben Monate nach der Bundestagswahl zu Ende ist. Für die FDP geht es um nicht weniger, als um ihre Positionierung im Parteiensystem.

Ganz entspannt können die Grünen dem Wahltag entgegen sehen. Sie dürfen auf jeden Fall gebraucht werden: für ein ideologisches Bündnis mit der SPD oder eine pragmatische Koalition mit der CDU. So oder so keine schlechte Perspektive.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 11. Mai 2022)


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