11.01.2023

Kohletreiber Habeck streitet sich mit seinen Grünen

Beim Kampf um Lützerath geht es den einen um mehr oder weniger friedliche Rettung des Weltklimas. Andere nehmen die Räumung von ganzen sieben Häusern zum Anlass, gegen das „System“ Front zu machen – auch mit Gewalt.

Am Rand des Rheinischen Braunkohlereviers verläuft indes noch eine andere Front. Zwischen Regierungs-Grünen und Verteidigern der reinen grünen Lehre, also zwischen Realos und überwiegend jugendlichen Fundis. Und da geht es heftig zur Sache.

Kehrtwende in der Energiepolitik

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat große Teile der Partei gegen sich. Denn es ist unbestreitbar, dass unter seiner Führung die Energiepolitik in wichtigen Bereichen das Gegenteil von dem ist, was die Grünen ursprünglich geplant hatten, nämlich 2023 zum Jahr des Klmaschutzes zu machen.

Stattdessen haben ausgerechnet zwei Minister der Grünen, Habeck und seine nordrhein-westfälische Amtskollegin Mona Neubaur, mit dem Energiekonzern RWE vereinbart, dass in Lützerath noch Braunkohle abgebaut werden darf. Als Gegenleistung wird der Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2020 vorgezogen. 

Was RWE vorhat, ist juristisch abgesichert. Zwei Minister haben mit Rückendeckung ihrer jeweiligen Koalitionspartner mit dem Energiekonzern einen Vertrag abgeschlossen. An der demokratischen Legitimation ist ebenfalls kein Zweifel erlaubt. Habeck hat sogar die Rückendeckung der Partei. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz im Oktober letzten Jahres wollte die Grüne Jugend ein Moratorium für Lützerath durchsetzen. Für diesen Antrag stimmten 294 Delegierte, 315 dagegen. Habeck und die Parteiführung setzen sich – wenn auch sehr knapp – durch.

Kohle, Fracking, Atom-Schonfrist: Habeck mutet den Grünen viel zu

Obwohl der „Fundi“-Flügel bei den Grünen sonst größten Wert darauf legt, die innerparteiliche Beschlusslage peinlichst zu beachten, marschiert die Grüne Jugend in Lützerath Seit‘ an Seit‘ mit zahlreichen Umweltorganisationen. An ihrer Seite sind auch auf Krawall und Gewalt gebürstete Linksextremisten. Der Parteitagsbeschluss von Oktober ist plötzlich nichts mehr wert.

Habeck mutet seiner eigenen Partei freilich ungewöhnlich viel zu. Vor dem von den Grünen postulierten Kohleausstieg kommt der Kohleeinstieg. Habeck hat stillgelegte Kohlekraftwerke reaktivieren lassen. Er organisiert Importe von Steinkohle und baut den Braunkohletagebau zunächst mal aus.

Ausgerechnet der grüne Klimaminister lässt durch Fracking gewonnenes Flüssiggas importieren. Dazu hat er LNG-Terminals bauen lassen, obwohl er solche als schleswig-holsteinischer Umweltminister noch strikt abgelehnt hatte. Er nahm sogar ohne nennenswerte Gegenwehr hin, dass drei Atommeiler wenigstens bis April dieses Jahres weiterhin Strom produzieren dürfen.

Habeck hätte es einfacher, wenn er wenigstens beim Ausbau der Erneuerbaren Energien Erfolge vorweisen könnte

Habeck tut dies gewiss nicht aus Übermut. Er handelt vielmehr angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine verantwortungsbewusst und pragmatisch – und zwar pragmatischer, als dem grünen Philosophen zuzutrauen war. Das bringt ihm Respekt bei der Bevölkerung und selbst bei der CDU/CSU-Opposition ein. Doch die ideologischen Klima-Fundamentalisten in der eigenen Partei bringt er damit gegen sich auf.

Habeck und die grüne Ministerriege in Bund und Ländern hätten es einfacher, wenn die Öko-Partei wenigstens beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sichtbare Erfolge vorweisen könnte. Doch weder bei der Genehmigung noch beim Ausbau der Leitungstrassen für den Transport aus Windkraft gewonnenen Stroms von der Küste an die Industriestandorte gibt es nennenswerte Fortschritte, ebenso wenig bei der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windräder.

Die Regierungsgrünen können darauf verweisen, dass sich innerhalb eines Jahres und im schwierigen Zusammenspiel mit zwei anderen Regierungsparteien die Welt nicht über Nacht verändern lässt. Die Regierungsfraktion betont – zu Recht – die Verantwortung fürs Land. Solche Argumente lassen „Fundis“ jedoch kaum gelten.

Wie Joschka Fischer vor fast einem Vierteljahrhundert

Die Grünen sind, wie sich erst auf dem Parteitag und jetzt in Lützerath zeigt, eine gespaltene Partei. Dabei fällt auf, dass sich aus der Bundestagsfraktion kaum jemand vehement für Habeck Partei ergreift. Vielen Abgeordneten ist durchaus bewusst, dass an der Parteibasis in ihren Wahlkreisen viele mit Habecks pragmatischem Kurs nicht einverstanden sind. Mit denen wollen sie es sich nicht verderben.

Ebenso fürchten viele Grünen-Politiker, dass ihnen Teile der Umweltaktivisten von der Fahne gehen. Luisa Neubauer von „Fridays for Future“, selbst Parteimitglied der Grünen, macht aus der Entfremdung von Teilen der Umweltbewegung und den Grünen keinen Hehl. „Die Grünen machen einen großen Fehler“, schrieb sie auf Twitter. Das las sich wie eine Warnung und sollte wohl auch eine sein. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, ließe Neubauer wohl kaum ihre Aktivisten bundesweit aufmarschieren wie vor der Bundestagswahl 2021.

Habeck befindet sich in einer ähnlichen Lage wie Joschka Fischer vor fast einem Vierteljahrhundert. Der erste grüne Außenminister in der Geschichte der Bundesrepublik brachte die Grünen im Bundestag dazu, den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg mitzutragen. Die Parteibasis rebellierte, die den Grünen zugetanen pazifistischen Gruppierungen liefen dagegen Sturm, auf einem Parteitag flog Fischer ein Farbbeutel an den Kopf.

Fischer setzte sich schließlich gegen die „Fundis“ in den eigenen Reihen durch. Das war kein leichter Kampf. Im Vergleich dazu hat es Habeck jetzt leichter, bis jetzt jedenfalls. Fragt sich nur, wie lange Habeck das „friendly fire“ aus den eigenen Reihen aushält.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 11. 1. 2023)


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