22.05.2023

Trittin ruft wieder mal Kampagne, weiß aber nicht so genau, worum es geht

Schon zu Beginn der Debatte um das zum Familienbetrieb mutierte Wirtschaftsministerium unter Leitung seines Parteifreundes Robert Habeck sprach Trittin von einer „gezielten Kampagne aus der rechten Ecke“. Darüber hinaus sah er im Vorwurf der Vetternwirtschaft im Haus Habeck einen „Aufstand der fossilen Gasindustrie“ gegen die Abkehr von fossilen Brennstoffen im Wärmesektor.

Die jüngsten Berichte über mögliche Interessenkonflikte von Habecks Staatssekretär Udo Philipp wertet Trittin jetzt bei "ntv Frühstart" ebenfalls als Kampagne gegen den Wirtschaftsminister. "Wir haben es damit zu tun, dass versucht wird, Robert Habeck sturmreif zu schießen", sagte er.

Trittin, in jungen Jahren in verschiedenen kommunistischen Gruppen aktiv, wittert auch hier eine Verschwörung der Gaswirtschaft und vieler kommunaler Unternehmen, die ihr fossiles Geschäftsmodell verlängern wollten. "Diese Kampagne kommt nun ausgerechnet aus der Ecke, die in den letzten Jahren durch das Wirtschaftsministerium für Milliarden Steuergelder vorm Konkurs gerettet worden ist."

Staatssekretär Philipp wird unter anderem kritisiert, weil er im Ministerium für „Start up“-Unternehmen zuständig und zugleich Investor in vier jungen Unternehmen ist. Diese Beteiligungen stammen aus Philipps Zeit als Manager bei einem schwedischen Finanzinvestor. Eines der Unternehmen, an denen er beteiligt ist, hat zwei Mal Fördermittel des Wirtschaftsministeriums bekommen, einmal noch unter Habecks Vorgänger Peter Altmaier und jetzt unter Habeck.

Das Wirtschaftsministerium sieht darin keinen Verstoß gegen Compliance-Vorschriften, da Philipp seine Beteiligungen dem Ministerium angezeigt habe. Das Ministerium hat auch Berichte bestätigt, wonach Philipp an der Berufung eines Habeck-Beraters beteiligt war, an dessen Fonds der Staatssekretär beteiligt ist. Auch wenn dieser Fall anders gelagert ist als der des inzwischen geschassten Staatssekretärs Patrick Graichen, so nährt er doch Zweifel an der Arbeitsweise im Bundeswirtschaftsministerium.

Im Fall Philipp besteht Aufklärungsbedarf. Das hat nichts damit zu tun, den ohnehin angeschlagenen Habeck „sturmreif zu schießen“, wie Trittin mutmaßt. Wobei Trittin interesseanterweise einräumt, er könne nicht beurteilen, ob Staatssekretär Philipp die Regeln eingehalten habe, die bei einer Beteiligung an Fonds gelten. Sagt aber auch: "Und wenn da Sachen nicht in Ordnung sind, müssen die geregelt werden."

Halten wir also fest: Jürgen Trittin, Anführer der „Abteilung Attacke“, sieht irgendwelche finsteren, fossilen Mächte am Werk, um den Minister und letztlich das umstrittene Heizungsgesetz zu Fall zu bringen. Gleichzeitig schließt er nicht aus, dass „Sachen“ eventuell nicht in Ordnung sein könnten.

Aber ohne das, was Trittin eine „Kampagne“ nennt, wären die seltsamen Entscheidungen Graichens in der „Trauzeugen-Affäre“ wie bei der Bewilligung von Geldern für eine Organisation, in der seine Schwester im Vorstand sitzt, im Dunkeln geblieben. Und niemals würde aufgeklärt, ob Staatssekretär Philipp zwischen privaten Investitionen und behördlichen Entscheidungen so strikt getrennt hat, wie man das bei einem hohen Beamten erwarten muss.

Trittin handelt nach dem Motto, Angriff ist die beste Verteidigung. Doch eine noch so nassforsche Gegenoffensive hilft nichts, wenn die Verfehlungen so gravierend sind wie bei Graichen. Bei Philipp hingegen ist es für ein abschließendes Urteil noch zu früh. Da müssen einige „Sachen“ noch geklärt werden. Damit auch Trittin weiß, worüber er sich erregt.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 22. Mai 2023)


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