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19.10.2011

Modetrend Occupy: Bankenproteste sind anmaßend

Der Anspruch der Anti-Banken-Demonstranten, sie repräsentierten 99 Prozent der Bevölkerung, war eine unglaubliche Anmaßung. Jedes Bundesligaspiel zwischen zwei grauen Mäusen aus dem Mittelfeld zieht mehr Zuschauer an, als sich am Samstag in Frankfurt (5000) und Berlin (10000) versammelten.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bevölkerung die Banken kritischer sieht denn je. Bankenschelte ist „in“ – an der Currywurst-Bude wie an der Champagner-Theke. Das ist ja das Neue an der derzeitigen Protestbewegung: dass eben nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Linkspartei, K-Gruppen oder Verdi gegen „das Kapital“ zu Felde ziehen. Nein, auch immer mehr überzeugte Verteidiger der Marktwirtschaft sehen in den Finanzinstituten üble Ausbeuter – Unternehmen, die auf Kosten der Allgemeinheit Geschäfte und Gewinne machen.

Für den Volkszorn gibt es viele gute Gründe. Da sind zum einen die unanständig hohen Bezüge der Bankmanager, die in keinem Verhältnis zu ihren Leistungen stehen. Da sind die schlechten Erfahrungen, die viele Anleger mit ihren „Bankberatern“ gemacht haben. Denn diese Berater sind in Wirklichkeit Verkäufer, die ihren Kunden allzu oft Papiere empfehlen, an denen die Bank mehr verdient als der Anleger.

Vor allem aber haben die Menschen das Gefühl, die Bankmanager agierten in einem Parallel-Universum – völlig losgelöst von der realen Wirtschaft. Ihre Geschäfte, dem Glücksspiel oft ähnlicher als der althergebrachten Verwaltung von Einlagen und Kreditvergabe, versteht niemand mehr. Was aber das Schlimmste ist: Die meist als „Masters of the Univers“ auftretenden Banker mussten 2008 vom Staat, das heißt von den Steuerzahlern, gerettet werden. Und jetzt, drei Jahre später, benötigen sie wegen ziemlich wertlos gewordener Staatsanleihen schon wieder einen Rettungsschirm.

So weit, so schlecht. Doch bei aller Bankenschelte darf eines nicht übersehen werden: An der Krise von 2008 wie an der aktuell drohenden Schieflage ist die Politik in hohem Maße mitverantwortlich. Es war die Regierung Clinton, die die US-Banken zwang, auch solchen Amerikanern eine Hypothek zu gewähren, die gemeinhin als schlechte Risiken galten; eine Politik, die von George W. Bush fortgesetzt wurde.

Die Banken haben aus diesem gigantischen Eigenheimprogramm das für sich beste gemacht: Sie haben diese Hypothekenkredite verbrieft und weltweit gehandelt. Als die Immobilienblase platzte, stellte sich heraus, dass die deutschen Landesbanken besonders viele dieser Schrottpapiere im Depot hatten. Was zeigt, dass die Gier in von Politikern kontrollierten, staatlichen Banken offenbar nicht geringer ist als bei der „kapitalistischen“ Konkurrenz.

Auch kann man nicht die Banken dafür verantwortlich machen, dass bei der Einführung des Euro Italien mitmachen durfte, obwohl es wirtschaftlich nicht fit für die Währungsunion war. Die Banken waren ebenfalls nicht beteiligt, als die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit Frankreich die Sanktionen gegen Defizitsünder aufhob. Die Banken waren nur Zuschauer, als die Griechen in „Euroland“ aufgenommen worden, obwohl das Land die Kriterien nicht erfüllte. Und man kann den Banken nicht ankreiden, dass ausnahmslos alle Euro-Länder heute deutlicher höher verschuldet sind als bei Einführung der Gemeinschaftswährung.

Unser drängendstes Problem ist die Staatsverschuldung – nicht die Profitgier der Banker. Würden wir den Parolen der „Occupy Frankfurt“-Demonstranten folgen – also keine Hilfe für Griechenland und keine Rekapitalisierung der Banken – stünden wir freilich noch schlechter da. Dann würden viele Banken zusammenbrechen – und die Bürger kämen nicht mehr an ihr Geld. Dann zählten wirklich 99 Prozent der Menschen zu den Verlierern.

Dennoch: Es bleibt der Politik nichts anderes übrig, als den Banken zu helfen, ihre Eigenkapitalbasis zu stärken. Der Staat muss aber – anders als 2008 – als Gegenleistung für seine Stützaktion an den Banken beteiligt werden. Hilfe ohne Gegenleistung hat mit Marktwirtschaft nämlich nichts zu tun. Das müssten die Herren in den Türmen als erste verstehen. Die können ja, wenn es ihnen wieder besser geht, dem Staat seine Beteiligungen wieder abkaufen – zum Marktpreis, versteht sich.

Was aber das Wichtigste ist: Die Politik muss es schaffen, Herr des Verfahrens zu werden. Solange Regierungen als Marionetten der Banker erscheinen, nehmen die Regierten sie nicht mehr Ernst. Das Motto muss deshalb heißen: Rettung gegen Regulierung. Alles andere wäre eine Kapitulation der Politik vor dem Kapital.

Erstveröffentlichung: www.cicero.de, 19. Oktober 2011



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