10.01.2017

Stille Örtchen der absoluten Gleichheit

Das muss man dem rot-rot-grünen Senat in Berlin attestieren: Er greift die wirklich wichtigen Probleme der Menschheit beherzt auf. Das begann schon mit dem Koalitionsvertrag: Gleich 298 Mal – auf 251 (!) Seiten – wird der „Genderstern“ verwendet, weil das große „I“ in BürgerInnen politisch nicht (mehr) korrekt ist. Würden doch Bi-, Trans- oder Sonstige-Sexuelle auf diese Weise diskriminiert, von den Geschlechtlosen wohl ganz zu schweigen. Jetzt hat der der neue Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), erst seit dem 8. Dezember im Amt, seine erste Vorlage für das Landesparlament fertig: "Hürden im Alltag beseitigen – Unisextoiletten in öffentlichen Gebäuden einrichten".

Das scheint in der Hauptstadt ein besonders drängendes Problem zu sein. Denn Berlin will „Regenbogenstadt“ sein. Was das ist? Schlag nach im Koa-Vertrag: „In Berlin leben eine große Vielfalt von Lebensentwürfen und starke Communities von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, Transgendern, Intersexuellen und Menschen, die sich als Queer verstehen (LSBTTIQ*). (…) Die Förderung von Selbstbestimmung, Selbstorganisation und die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe in ganz Berlin werden die Arbeit der Koalition bestimmen.“ Große Worte, denen jetzt ganz große Taten folgen sollen: Schluss mit dem nach Männlein und Weiblein getrennten Toilettengang. Das gemeinsame Pinkeln von Bürger*innen ist das Gebot der Stunde.

Nun gibt es nach einer vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) erarbeiteten Liste 60 verschiedene Geschlechtsidentitäten, von androgyn, über Pangender und intergender bis Cross-Gender. Was immer das auch bedeuten mag: Die Mehrheit der Berliner*innen wird sich wohl – noch – als Mann oder Frau fühlen. Aber was gelten im Zeitalter der Minderheiten-Pflege noch Zahlen? Damit nicht ein einziger Transvestit sich entscheiden muss, welche Klotür er/sie/es öffnet, sollen jetzt alle auf derselben Schüssel sitzen. Das entspricht nicht nur grünen Vorstellungen von Minderheitenschutz sondern auch dem Gleichheitsideal der Linkspartei: das WC als Ort absoluten Gleichheit.

Wie aber passt das zu den MultiKulti-Fantasien von „r2g“? Mich treibt die Frage um, ob sich vollverschleierte Frauen wohl fühlen, wenn sie mit biodeutschen Männern in einer Reihe anstehen müssen? Oder: Wie fühlen sich muslimische Männer, wenn sie die Toilette wie „unreine“ Frauen benutzen sollen? Wer in der Flüchtlingsunterkunft sich weigert, sich von Frauen das Essen reichen oder die „Stütze“ auszahlen zu lassen, der wird wohl kaum mit Vertreterinnen dieser aus männlicher Sicht minderwertigen Spezies den Toilettensitz teilen wollen.

Es gibt nur einen Ausweg: Unisex-Toiletten für Bio-Deutsche und sonstige, westlich sozialisierte Mitbürger. Und zusätzliche getrennte stille Örtchen für Männer und Frauen – aber nur für solche mit nicht abendländischem Migrationshintergrund. Bleibt die Frage, ob für den Zugang zu diesen besonderen Orten eine Identifikation per Geburtsurkunde notwendig ist oder ob – aus Gründen der Praktikabilität – das Aussehen entscheidet: nordafrikanische Gesichtszüge etwa, ein schwarzer Vollbart, Kopftuch oder Gesichtsschleier. Aber halt: Hier droht „Racial Profiling“. Denn nichts wäre schlimmer, als die Diskriminierung der LSBTTIQ*-Community um den Preis eindeutiger Ausländerfeindlichkeit zu beenden. Nicht auszudenken, wie Simone Peter sich da empören würde – und nicht nur sie.  

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 9. Januar 2017.


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr