07.06.2018

Die GroKo gönnt den Bürgern keine echte Entlastung

Was immer die GroKo sich als große Projekte vorgenommen haben mag – die Steuerpolitik zählt definitiv nicht dazu. Den Beleg hat jetzt Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit seinem Entwurf eines „Familienentlastungsgesetzes“ geliefert. Es sieht Entlastungen von knapp 10 Milliarden Euro im Jahr vor.

Großartige Gedanken hat man sich im Finanzministerium aber nicht gemacht. Der Apparat liefert, was das Grundgesetz und die Gerichte von ihm fordern: Der Grundfreibetrag und der Kinderfreibetrag werden, weil das Existenzminimum nicht besteuert werden darf, im Ausmaß der zu erwartenden Inflation 2019 und 2020 erhöht. Eine vierköpfige Familie darf dann 33.578 (2019) und 34.400 (2020) verdienen, ohne einen Euro Einkommensteuer zu zahlen. Familien mit eher unterdurchschnittlichen Einkommen bleiben also steuerfrei.

Ein wenig Eigeninitiative, wenn man das so nennen will, zeigt Schwarz-Rot beim Kindergeld, das von Mitte 2019 an um 10 Euro steigen soll. Außerdem wird die „kalte Progression“ entschärft. Dazu wird der Tarifverlauf im Einkommensteuerrecht so verschoben, dass die zusätzliche Steuerbelastung bei Einkommenserhöhungen zusammen mit der Preissteigerung eine Zunahme der Kaufkraft nicht begrenzt oder ganz verhindert. Die Regierung verkauft das als Entlastung von jeweils rund 2 Milliarden Euro in den Jahren 2019 und 2020. In Wirklichkeit verzichtet der Staat nur darauf, Geld zu nehmen, das ihm gar nicht zusteht.

Weil die GroKo beim Thema Steuern sich nur zu kleinen Schritten aufrafft, können die begünstigten Bürger mit der Ersparnis keine großen Sprünge machen. Eine Doppelverdiener-Familie mit zwei Kindern und einem Jahresbrutto von 60.000 Euro wird 2019 um ganze 251 Euro im Jahr (!) entlastet, im Jahr darauf um 530 Euro. Bei 120.000 im Jahr sind es 380 Euro (2019) und 787 (2020). Weil diejenigen, die mehr verdienen, stärker entlastet werden als die mit geringeren Einkommen, wird sich hier mit Sicherheit eine Gerechtigkeitsdiskussion entzünden. Was nicht logisch ist. Für die 60.000 Euro-Familie reduziert sich die eigene Steuerlast um 9,4 Prozent 2019 und im Jahr darauf um 20,3 Prozent. Der 120.000 Euro-Familie, die schon jetzt deutlich höhere Steuern zahlt, wird die bisherige Steuerlast nur um 1,9 und 3,9 Prozent verringert. Schreiende Ungerechtigkeit sieht anders aus.

Die Mini-Entlastung durch die GroKo fügt sich nahtlos in die Steuerpolitik der Vorgängerregierungen ein. Die letzte Steuersenkung, die den Namen verdient, wurde im Jahr 2000 von Rot-Grün durchgesetzt. Schwarz-Gelb war dazu bekanntlich nicht in der Lage. Ohnehin neigen alle Regierungen dazu, den Bürgern erst Geld abzunehmen, um es dann als soziale Wohltaten wieder zu verteilen. Die Neigung, dem Bürger von dem selbst Erarbeiteten mehr zu lassen, ist bei Politikern aller Parteien nicht sehr ausgeprägt.

Dies zeigt ein Blick zurück. 1991 – im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung – nahmen Bund, Länder und Gemeinden zusammen 338 Milliarden Euro ein. 2017, also 26 Jahre später, belief sich das Steueraufkommen auf 735 Milliarden Euro. Das entspricht einem Zuwachs von stolzen 218 Prozent oder einem jährlichen Plus von mehr als acht Prozent. Der Zuwachs lag demnach vier Mal so hoch wie die Inflationsrate, die in dieser Zeit im Durchschnitt rund zwei Prozent betrug. Im laufenden Jahr wird der Fiskus rund 770 Milliarden Euro einnehmen.

Nun hatte der Staat in diesem Vierteljahrhundert große Aufgaben zu bewältigen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau in der ehemaligen DDR war die wohl größte Herausforderung, die Überwindung der Finanzkrise von 2008/2009 eine andere von Gewicht. Doch an dem mehr oder weniger stetig sprudelnden Steuern lässt sich ablesen, dass all diese Belastungen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und Bürger nicht geschmälert haben. Denn der Fiskus kann nur dort kassieren, wo Einkommen und Gewinne erzielt werden.

Es wäre also genug Geld, um die Bürger spürbar zu entlasten. Und wann, wenn nicht jetzt, wäre eine bessere Gelegenheit, den längst überfälligen Solidaritätszuschlag abzuschaffen? Der Staat schwimmt nicht im Geld. Aber hat er genug, um denen mehr zu lassen, die es erwirtschaften. Es ist Geld da für eine große Steuerreform. Was fehlt, ist eine Regierung mit steuerpolitischem Ehrgeiz.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 6. Juni 2018.


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