23.08.2018

Die unseriösen Versprechen des Genossen Scholz

Unser Rentensystem war einmal so konstruiert: Wer länger und höhere Beiträge einzahlt, der bekommt im Alter mehr Rente als derjenige, der nur geringe Abgaben geleistet hat und das auch nicht sein ganzes Arbeitsleben lang. Das ist schon lange nicht mehr so. Der Gesetzgeber hat den ursprünglich logischen Rentenmechanismus immer weiter mit „Wohltaten“ ausgehebelt: Rente mit 63, Mütterrente, Grundsicherung, Mindestniveau und wie die Zauberworte alle heißen. Sie lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Volksbeglückung.

Ausgerechnet Finanzminister Olaf Scholz (SPD), von Amtswegen eigentlich zu solidem Haushalten verpflichtet, prescht nun mit einem neuen Rentenversprechen vor. Die bis 2025 geltende Zusage, wonach ein Durchschnittsrentner mindestens 48 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns erhalten muss („Rentenniveau“), soll bis 2040 verlängert werden. Was sich so leicht dahin sagt, ist finanziell ein gewichtiger Brocken: Wirtschaftsforscher schätzen die Kosten bis 2040 auf 650 bis 750 Milliarden Euro, als auf rund das Zweifache des Bundeshaushalts.

Scholz, ein potentieller Kanzlerkandidat der SPD, öffnet die rentenpolitische Wundertüte, um denen das Wasser abzugraben, die leichtfertig Altersbezüge in einer Höhe versprechen, die niemand finanzieren kann – also der AfD wie der Linkspartei. Scholz will nach eigenem Bekunden so einen „deutschen Trump“ verhindern. Dies freilich ist ein höchst seltsames Unterfangen: Ein führender Genosse wirft mit populistischen Versprechungen um sich, um den Populisten von ganz Links und ganz Rechts das Wasser abzugraben.

Aus Scholz‘ Vorstoß spricht nicht kühle Rentenmathematik, sondern parteipolitische Verzweiflung. In Bayern droht den Genossen bei der Landtagswahl im Oktober ein Desaster; auch in Hessen hat die SPD kaum keine Chance, zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder den Regierungschef zu stellen. Zudem macht es manche SPD-Strategen nervös, dass das linke Politpaar Wagenknecht/Lafontaine mit seiner neuen „Sammlungsbewegung“ gezielt um sozialpolitisch enttäuschte SPD-Wähler wirbt. Da kommt man in der SPD schon mal auf eine verzweifelte Idee wie „Rentenniveau-Garantie bis 2040“.

Der Vorschlag ist nicht nur unseriös, weil unfinanzierbar. Er widerspricht auch dem Koalitionsvertrag, in dem sich Union und SPD verpflichtet haben, das Rentensystem durch eine Expertenkommission überprüfen zu lassen. Vorfestlegungen jeder Art sind deshalb schlecht Stil und zeugen von mangelnder Kompromissbereitschaft.

Zweifellos steht das Rentensystem angesichts der Überalterung der Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Die lassen sich aber nicht mit großzügigen Versprechungen bewältigen. Vielmehr muss die Politik die Frage beantworten, wie immer weniger aktive Arbeitnehmer die wachsende Zahl der Rentenempfänger finanzieren sollen? Das wird ohne eine moderate Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht möglich sein. Ein solides Rentenkonzept würde jedenfalls überzeugender wirken als unseriöse Wahlgeschenke. Die deutschen „Trumps“ lassen sich nur mit Glaubwürdigkeit bekämpfen – nicht mit Populismus à la Scholz.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 21. Juli 2018.


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