03.04.2019

Kramp-Karrenbauer: Auf den Zauber des Anfangs folgt der Kater

Kaum war Annegret Kramp-Karrenbauer im Dezember zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt, schien bei der Union eine wundersame Heilung einzusetzen. „AKK“ stürmte in den Beliebtheitsskalen auf eine Spitzenposition und die CDU/CSU kletterte wieder über 30 Prozent. Doch der Kater kam schnell: Inzwischen haben sich die Beliebtheitswerte der Merkel-Nachfolgerin halbiert und die Meinungsforscher sehen die Union wieder bei 28 oder 29 Prozent. Damit bleiben die C-Parteien deutlich unter den 32,9 Prozent von der Bundestagswahl 2017 – dem schwächste Ergebnis seit 1953.

Mit dem Zauber, der angeblich jedem Anfang innewohnt, ist das halt so eine Sache. Der kann, wie das Beispiel Kramp-Karrenbauer zeigt, sehr schnell wieder verfliegen. Zwar ist die Union unverändert die stärkste Partei. Rot-Grün ist angesichts der dramatischen Schwäche der SPD für die Union ebenso wenig eine Gefahr wie Rot-Rot-Grün. So besehen ist die Union strategisch in einer starken Position: Im Bund und in den meisten Ländern kann ohne und gegen sie nicht regiert werden. Nicht wenige in der CDU sehen das ganz pragmatisch. Falls die Grünen die SPD überflügeln, dann trägt die nächste „große Koalition“ eben die Farben Schwarz-Grün statt Schwarz-Rot.

Die Aussicht auf Schwarz-Grün als Kombination der Zukunft müsste die Union jedoch eher schrecken als beruhigen. In Hessen jedenfalls hat Schwarz-Grün die CDU-Wähler eher abgeschreckt. In Baden-Württemberg sieht es nicht viel anders aus: Dort nutzt Grün-Schwarz der CDU keineswegs bei der Rückgewinnung von in Scharen davongelaufenen Wählern. Wobei die CDU viele Wähler nach beiden Seiten verloren hat: ganz rechts an die AfD und links an die Grünen. Deshalb steckt die CDU in einem strategischen Dilemma: Jede Rückbesinnung auf ihre alten Werte, zum Beispiel beim Thema Zuwanderung, macht sie für zu den Grünen abgewanderte Wähler nicht attraktiver. Jede weitere Modernisierung wie eine rechtlich höchst fragwürdige Verankerung der Frauen-Parität im Wahlrecht würde die konservativen ehemaligen CDU-Wähler darin bestärken, dass ihr Wechsel zur AfD richtig war.

Annegret Kramp-Karrenbauer führt, wie ihr äußerst knapper Wahlsieg über Friedrich Merz zeigt, eine gespaltene Partei an. Ihre Zustimmungswerte gingen nach oben, weil die Medien das Bild verbreiteten, hier setze eine unverbrauchte „Merkel II“ den Modernisierungskurs der Kanzlerin fort. Kramp-Karrenbauer verwendete aber zunächst viel Energie darauf, die enttäuschten Merz-Anhänger mit der Partei zu versöhnen. Ihre Aussage, bei großen Flüchtlingsströmen könnte eine Grenzschließung die „ultima ratio“ sein, also das letzte Mittel, zielte genau in diese Richtung.

Kramp-Karrenbauer steuert also nach rechts, blinkt aber zugleich nach links und macht den Grünen ganz offen Avancen. Dass die Grünen bei Themen wie Steuererhöhungen, einem bedingungslosen Grundeinkommen oder einer Verstaatlichung des Wohnungsmarkts deutlich nach links abgedriftet sind, übersieht sie geflissentlich. Das erleichtert den Grünen ihre ökologisch verbrämte Wünsch-Dir-Was-Politik.

Gut vier Monate nach ihrer Wahl verharrt die CDU auch unter der neuen Vorsitzenden auf Merkel-Niveau. Zudem steckt sie in den Zwickmühle: Einen Wettlauf mit den Grünen, wer „hipper“ ist, kann die Union nur verlieren, einen Wettbewerb mit der AfD, wer härter gegenüber illegalen Zuwanderern ist, ebenso. Deshalb sollten sich die Unionsparteien auf ihre Stärken besinnen: Wirtschaft und Sicherheit, wobei zur letzteren auch die soziale Sicherheit zählt. Die Vorsitzende Kramp-Karrenbauer muss hier führen, die CDU muss klare Kante zeigen. Ein Spagat ist zwar eine bewundernswerte Leistung, aber man kommt so nicht nach oben.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 2. April 2019.


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