13.05.2019

Lieber gut beschäftigter Handwerker als arbeitsloser Kulturanthropologe

Der Erfolg staatlicher Bildungspolitik wird in erster Linie am Anteil der Abiturienten an den Schulabgängern bemessen. Wenn es heute fast 60 Prozent eines Abiturjahrgangs an die Universitäten zieht, mag das Politiker mit Stolz erfüllen. Das Resultat einer solchen Bildungspolitik, die die akademische Ausbildung überbetont und die berufliche Ausbildung eher stiefmütterlich behandelt, ist jedoch ein eklatanter Fachkräftemangel in nicht-akademischen Berufen, vor allem im Handwerk. Es schadet aber unserer Wirtschaftskraft, wenn Aufträge von Unternehmen wie Privatleuten nur mit großer zeitlicher Verzögerung bearbeitet werden können, weil überall Elektroniker, Klempner oder Kfz-Mechatroniker fehlen.

Insgesamt suchen die Handwerksbetriebe zurzeit rund 250.000 Arbeitskräfte. Auch am Nachwuchs mangelt es. 2018 blieben etwa 17.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, was für die künftige Personalentwicklung kein gutes Zeichen ist. Bei diesem Fachkräftemangel ist es schwierig, geeignete Nachfolger für die Chefs zu finden. Im Handwerk droht ein Betriebssterben, denn in den nächsten Jahren stehen insgesamt 200.000 Inhaberwechsel an – aber in vielen Fällen lässt sich kein Nachfolger finden.

Die einseitig auf den akademischen Bereich ausgerichtete Bildungspolitik hat zur Personalnot im Handwerk beigetragen, obendrein noch dem Ruf dieses Wirtschaftszweigs geschadet. Viele Eltern finden es nämlich besser, wenn es den Sohn oder die Tochter an die Universität und dort gar zu einem Orchideenfach mit miserablen beruflichen Aussichten zieht, als zu einer handwerklichen Ausbildung. Dass eine arbeitslose Kulturanthropologin später glücklicher wird als die Chefin eines Dentallabors, darf bezweifelt werden.

Höheres Sozialprestige der Akademiker

Handwerker können es vom Ansehen her nicht mit Akademikern aufnehmen. Dieser Wirtschaftszweig leidet zudem unter dem Klischee, Handwerker zu sein bedeute grundsätzlich schwere körperliche Arbeit bei relativ geringem Lohn. Das stimmt so nicht. Zum einen hat im Handwerk längst die Informationstechnik Einzug gehalten und den Charakter vieler Tätigkeiten grundlegend verändert. Heutzutage schicken moderne Dachdeckerbetriebe Drohnen in die Höhe, um zum Beispiel die Schäden am Hausdach zu inspizieren, ehe sie selbst aufs Dach steigen. Zum anderen können sich Zimmerer, Elektroniker oder Maurer mit Jahresgehältern von durchschnittlich 34.000 bis 37.000 Euro im Vergleich zu vielen anderen Berufen durchaus sehen lassen. Allerdings werden Fleischer mit einem Jahresgehalt von 29.000 Euro oder Bäcker mit 25.000 Euro unterdurchschnittlich bezahlt. Mit Meistertitel lässt sich erheblich mehr verdienen – als Elektroniker oder Tischler beispielsweise 45.000 Euro im Jahr, als Maler oder Zahntechniker rund 40.000 Euro. Da können viele Akademiker nicht mithalten.

Das Handwerk investiert viel in Kampagnen, um das falsche Image zu korrigieren. Es wirbt auch damit, dass der Boden gerade für selbständige Handwerksmeister unverändert „golden“ sei. Doch ohne Hilfe der Politik kann dieser Wirtschaftszweig seine Schwierigkeiten nicht meistern. Die Politik hat in den letzten Jahren zunehmend erkannt, wie wichtig der Beitrag des Handwerks zum Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Schließlich sind 5,5 Millionen Menschen im Handwerk tätig; das sind 12 Prozent aller Erwerbstätigen. Vor allem bilden die Handwerksbetriebe 28 Prozent aller Auszubildenden aus, ein volkswirtschaftlich nicht zu unterschätzender Beitrag.

Politik spart bei beruflicher Ausbildung

Die gestiegene politische Wertschätzung des Handwerks braucht konkrete Unterstützung. Der Meisterbrief öffnet in vielen Bundesländern den Zugang zur Universität und macht so den Handwerksberuf attraktiver. Doch werden Handwerker gegenüber Studierenden benachteiligt, da das Universitätsstudium – von der Semestergebühr abgesehen – unentgeltlich ist. Handwerksgesellen hingegen müssen für die sieben- bis achtmonatige Vorbereitung auf die Meisterprüfung bis zu 10.000 Euro selbst aufbringen und gleichzeitig den Verdienstausfall in dieser Zeit verkraften. Ganz abgesehen davon, dass das Handwerk die Meisterausbildung selbst organisieren und finanzieren muss.

Bildungspolitiker heben immer häufiger die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung hervor. Noch aber ist es nicht zu einem Wandel im öffentlichen Bewusstsein gekommen, dass eine nicht-akademische Ausbildung – ob im Handwerk oder in der Industrie – den Vergleich mit dem Besuch einer Hochschule nicht zu scheuen braucht. Gerade von Abiturienten und ihren Eltern wird gerne übersehen, dass die Immatrikulation an einer Universität nicht automatisch zum Bachelor oder Master führt. Im Gegenteil: Weil viele junge Leute der Titel-Illusion erliegen, bemerken sie zu spät, dass sie in der akademischen Welt fehl am Platz sind. Sonst müssten nicht 35 Prozent aller Studierenden ihre Hochschulausbildung vorzeitig abbrechen.

Zurück zum guten alten Werkunterricht

Um hier etwas zu ändern, ist auch die Politik gefordert. Ganz wichtig wäre, dass Schüler schon früh die Chance erhalten, sich mit unterschiedlichen handwerklichen Tätigkeiten vertraut zu machen. Deshalb müsste der Werkunterricht in den Stundenplänen – gerade an Gymnasien – einen festen Platz erhalten. Wie sonst sollen junge Menschen ein Gespür dafür bekommen, wie es um ihre praktischen Fähigkeiten steht? Wenn dann noch eine umfassende Berufsberatung dazu kommt, die insbesondere Gymnasiasten auf die Chancen im Handwerk hinweist, könnte das Handwerk die Trendwende bei der Gewinnung von Nachwuchs schaffen. Zudem ist eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Berufsschulen, einer wichtigen Säule des „dualen Systems“, um das uns viele Länder beneiden, dringend notwendig. Dagegen sind Vorschläge aus dem Handwerk, den „Meister“ in „Bachelor professional“ oder „Master professional“ umzubenennen, ein verkrampfter Versuch, das Handwerk aufzuwerten.

Die Klagen des Handwerks über die Benachteiligung der beruflichen Bildung sind alt. Von der Politik wird den Verbänden meistens Recht gegeben. Auf die Worte müssen mehr Taten folgen – im Interesse der Wirtschaft und des Landes.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 11. Mai 2019.


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