21.12.2019

Die Mär von der stetig zunehmenden Ungleichheit

Es gibt Themen, die finden immer Leser, Zuhörer, Zuschauer. Die Behauptung, in Deutschland gehe die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter auseinander, gehört dazu. Wann immer einer der sogenannten Armutsforscher dieses Klagelied vorträgt, stimmen SPD, Grüne und Linke voll Inbrunst mit ein. Kein Wunder, dass zwei Drittel aller Deutschen Umfragen zufolge der Meinung sind, die Ungleichheit bei uns nehme immer mehr zu.

Nun kann kein Zweifel bestehen, dass es Ungleichheit gibt. Wer viel erbt, steht materiell besser da als jemand, dem seine Eltern nichts hinterlassen. Wer mehr leistet und deshalb mehr verdient, kann eher ein Vermögen aufbauen als weniger Talentierte oder Leute, die einfach Pech haben. Ungleichheit hat auch mit der ungleichen Verteilung von Talenten zu tun. Wer mindestens so gut den Ball trifft, dass er in der 2. Fußballbundesliga mithalten kann, verdient mehr als ein Sportschütze oder Kanute, der es bis zu den olympischen Spielen schafft. In manchen Branchen wird eben mehr gezahlt als in anderen, aber nicht jeder kann überall mitmischen.

Das ständige Klagelied über die „Verarmung der Massen“ läßt den Ruf nach höheren Steuern anschwellen - von der Linkspartei über die SPD bis hin zu den Grünen. Ein genauerer Blick auf die Vermögensverteilung bestätigt diese Unkenrufe jedoch nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat jetzt zahlreichen Daten ausgewertet, die in den letzten drei Jahrzehnten erhoben worden sind. Dabei bekräftigen die Ökonomen des arbeitgebernahen Instituts, dass Einkommen und Vermögen bei uns durchaus ungleich verteilt sind. Zugleich stellen sie fest, dass die Ungleichheit seit dem Jahr 2000 nicht zugenommen hat. Vielmehr sei sogar eine leichte Abschwächung zu registrieren. Der Gini-Koeffizient - ein international üblicher Vergleichsmaßstab für Gleichheit beziehungsweise Ungleichheit bei Sach- und Geldvermögen minus Schulden - schwankt seit 2000 zwischen 0,74 und 0,76, mit leicht abnehmender Tendenz. Bei 0 wären alle gleich, ein Koeffizient von 1 zeigte dagegen extreme Ungleichheit an.

Alle Berechnungen über die ungleiche Verteilung von Vermögen - ob mit zunehmender oder abnehmender Tendenz - leiden unter einem gravierendem Mangel: Pensions- und Rentenansprüche gehen in diese Verteilungsrechnung nicht ein. Hat jemand eine Lebensversicherung abgeschlossen oder eine Million Euro fürs Alter auf die Seite gelegt, erhöht er den Anteil der „Reichen“ in der Statistik. Pensionsansprüche höherer Beamter oder von Politikern in Höhe von einer oder gar zwei Millionen tauchen in der Verteilungsstatistik dagegen nicht auf. Natürlich kann man Pensionsansprüche nicht mit einem Barvermögen gleichsetzen. Aber dass Ansprüche in sechs- und siebenstelliger Höhe an den Staat gar nichts wert sein sollen, entbehrt jeder Logik.

Eines läßt sich mit Sicherheit sagen: Die Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft wird die „Umverteiler“ im grün-rot-roten Lager nicht von ihrem Ruf nach einer höheren Vermögen- und Erbschaftssteuer abbringen. Für die Linke ist die Forderung nach höheren Steuern auf Einkommen, Vermögen und Erbschaften fester Bestandteil jedes Wahlprogramms. Die Grünen wollen ebenfalls Vermögen besteuern, legten sich aber bisher nicht fest, wie eine „verfassungskonforme“ Lösung aussehen könnte. Die SPD hat sich jetzt auf ihrem Parteitag klar zu höheren Steuern bekannt, da die „starke Vermögenskonzentration“ den gesellschaftlichen Zusammenhang gefährde. Für den neuen Co-Vorsitzenden Norbert Walter Borjans ist die Einführung einer Vermögensteuer „ein Baustein“, um die „Unwucht im Steuersystem“ zu beseitigen. In den meisten Medien stoßen die Erkenntnisse der IW-Forscher nicht auf große Resonanz, während neue „Armutsberichte“ stets für Schlagzeilen gut sind. „Schreiende Ungerechtigkeit“ verkauft sich halt besser als ein nüchterner Blick auf die Wirklichkeit.

Veröffentlicht auf www. focus.de am 19. Dezember 2019.


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