25.02.2020

Die CDU braucht mehr als einen neuen Vorsitzenden

Das Wahlergebnis von Hamburg ist für die CDU ein Desaster. In einer florierenden, bürgerlichen Metropole liegt sie gerade mal noch zwei Punkte vor der Linken. Viel schlimmer hätte die Demütigung durch die Wähler nicht ausfallen können. Wer das mit dem allgemeinen Hinweis, „die CDU kann nicht Großstadt“ abzutun versucht, greift ebenso zu kurz wie diejenigen, die das Hamburger Ergebnis allein auf das Chaos in Thüringen zu schieben versuchen.

Wenn es die CDU „nur“ damit zu tun hätte, dass ihre Abgeordneten in Erfurt nach der unverantwortlichen Kemmerich-Wahl jetzt mehr an ihre Posten und Pensionen denken als an ihre Verantwortung, und dass sie an der Elbe beim großstädtischen Publikum wieder einmal nicht punkten konnte – die CDU könnte sich glücklich schätzen. Die seit 20 Jahren von Angela Merkel geführte und geprägte CDU steht jedoch vor zwei viel größeren Problemen: Sie hat so lange Beweglichkeit mit Beliebigkeit verwechselt, dass kaum noch erkennbar ist, wofür die CDU eigentlich steht. Und: Die Partei ist in der schwersten Krise seit der Spendenaffäre 1999 führungslos. Annegret Kramp-Karrenbauer ist eine Parteivorsitzende auf Abruf. Die Kanzlerin, für die die Partei nie mehr als ein notwendiges Machtinstrument war, hat nur noch eine begrenzte „Restlaufzeit“. Beide sind nicht mehr stark genug, die Richtung zu bestimmen.

Die CDU braucht dringend einen Kompass

Die CDU braucht nicht nur einen neuen Vorsitzenden und einen Kanzlerkandidaten, der neben den eigenen Mitgliedern und Wählern auch die bayerische Schwester überzeugen muss. Die CDU braucht vor allem einen Kompass. Sie muss sich entscheiden, ob sie ihr Tun und Trachten vor allem danach ausrichtet, ob es den vom Merkel-Flügel als Wunschpartner angesehenen Grünen zusagt, oder ob sie neu definiert, wie sie christlich-soziale, wirtschaftsliberale und wertkonservative Überzeugungen zu einem stimmigen Programm bündelt.

Unter Angela Merkel hatte man zunehmend den Eindruck, die wichtigste Lektüre im Konrad-Adenauer-Haus wäre nicht das eigene Programm, sondern die jeweils neueste Meinungsumfrage. Für manche erratische Entscheidung wie beim Atomausstieg, der Willkommenspolitik in der Flüchtlingskrise, beim flächendeckenden Mindestlohn, der Mietpreisbremse oder unsolide finanzierten Renten-Geschenken wurde die CDU zwar von vielen Medien beklatscht – aber von immer weniger Wählern. Nicht anders wäre es, wenn die CDU im Kampf gegen die AfD ausgerechnet in der „Die Linke“ einen Bündnispartner sähe und mit der Adelung der umbenannten SED eine von dieser Partei in Erfurt verfrüht bejubelte „historische“ Entscheidung träfe. Historisch wäre ein solcher Schritt in jedem Fall, führte er doch ziemlich sicher zu einer Abspaltung derer in der CDU, die nicht von einer neuen Rolle als Juniorpartner der Grünen träumen.

Neuwahlen sind besser als sein „weiter so“

Hätte die CDU noch eine handlungsfähige Spitze, wäre es naheliegend, wie geplant sich jetzt auf die Klärung inhaltlicher Fragen und die Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms zu konzentrieren. Aber das geht nicht mehr. Deshalb ist es richtig, die Wahl bereits auf einem Sonderparteitag Ende April vorzunehmen. Der Parteitag wird sicherlich die Wahl zwischen mehreren Bewerbern haben. Die Personalentscheidung wird somit noch mehr zu einer Richtungsentscheidung. Die Handschrift des neuen Manns an der Spitze muss im Programm sichtbar sein – oder er wird ganz schnell ein Gescheiterter sein. Die CDU ist mit dem Grundsatz, Parteivorsitz und Kanzleramt gehörten in eine Hand, in der Vergangenheit gut gefahren. Das von Merkel im Herbst 2018 eingeleitete Experiment einer Trennung beider Funktionen ist gründlich schief gegangen. Ein Nebeneinander einer an der Innenpolitik kaum noch interessierten Kanzlerin und einem ambitionierten neuen Vorsitzenden kann ebenfalls nur scheitern. Wenn Angela Merkel ihrer Partei helfen will, aus der von ihr maßgeblich mitzuverantwortenden Lage herauszukommen, dann muss sie das Kanzleramt für den neuen Vorsitzenden räumen – auch um den Preis von Neuwahlen. Denn eines ist sicher: Aussitzen lässt sich diese Krise der CDU nicht.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 24. Februar 2020.)


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