24.03.2020

Im Schatten von Corona wird manches und mancher übersehen

Die Corona-Pandemie und ihre möglichen Folgen verdrängen fast alle anderen Themen. Niemand redet mehr vom Klima, kaum jemand interessiert sich noch für die notwendige Rentenreform. Auch verspürt im Bundestag niemand mehr den Drang, sich mit einer unumgänglichen Wahlrechtsreform zu beschäftigen, ohne die eines Tages 800 oder 900 Abgeordnete sich unter der Glaskuppel drängen könnten.

Gleichwohl dürfte es manchem Politiker und manchem Wirtschaftsboss ganz angenehm sein, wenn alle nur noch „Corona, Corona, Corona“ sagen. So gerät manches in Vergessenheit, was in normalen Zeiten für negative Schlagzeilen sorgen würde. Hier ein paar Beispiele für Krisen-Gewinnler.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten: Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar auf 18,36 Euro verständigt. In den Jahren 2021 bis 2024 können die öffentlich-rechtlichen Anstalten nunmehr jährlich 8 Milliarden Euro ausgeben. Das reicht, um auch in Zukunft mit Hilfe von teuren PR-Beratern und Framing-Experten den Deutschen zu erklären, ARD und ZDF bildeten den „Kitt“ (WDR-Intendant Tom Buhrow) der Gesellschaft. Dass am Programm überall gespart werden muss, weil die Personalkosten so hoch sind, ist in diesen Zeiten Nebensache.

Die Linke: Die Partei, mit deren Hilfe Grüne wie SPD so gerne regieren würden, hat auf einer Strategiekonferenz ihr sorgsam gepflegtes Bild von linken Pragmatikern nachhaltig beschädigt. Wenn plötzlich über die Erschießung der Superreichen fabuliert wird, wenn der Parteivorsitzende Bernd Riexinger seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter ins Lächerliche zieht oder ein Kreisvorsitzender fordert, man müsse den „parlamentsfixierten Abgeordnetenbetrieb schwächen“, dann wird deutlich, dass mit der einstigen SED auf Bundesebene kein Staat zu machen ist. Doch die Linken haben Glück im Corona-Unglück: Über ihre Strategie redet niemand mehr.

Andreas Scheuer: Der Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um angebliche Rechtsverstöße bei der Vergabe und Finanzierung der an Brüssel gescheiterten Pkw-Maut zu prüfen. Verkehrsminister Scheuer macht in der Angelegenheit keine gute Figur. Eine von CSU-Chef Markus Söder ins Gespräch gebrachte Kabinettsumbildung hätte er wohl nicht überlebt. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses wird sich noch hinziehen, aber Scheuer kann vorerst aufatmen: Das Land hat andere Sorgen als der vorschnellen Auftragsvergabe für das Lieblingsprojekt der CSU viel Aufmerksamkeit zu schenken.

CDU Thüringen: Nach ihrer Walniederlage im Herbst wusste niemand so recht, was die Union in Erfurt eigentlich wollte: eine Minderheitsregierung zusammen mit FDP und Grünen, knallharte Opposition gegen die Minderheitsregierung von Bodo Ramelow (Linkspartei) oder eine Kooperation mit der Linken. Dann ließ sich die CDU im Landtag darauf ein, den FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Unterstützung der AfD zum Ministerpräsidenten zu wählen, zerstritt sich anschließend darüber, wie man aus diesem Schlamassel wieder herauskommt und verhalf Ramelow schließlich durch Stimmenthaltung für eine Übergangszeit zurück ins Amt. Kein Fiction-Autor hätte sich das ausdenken können. Aber in der Öffentlichkeit ist das Desaster der CDU Thüringen kein Thema mehr.

Esken & Borjans: Das bisher glücklose Führungsduo dürfte es geradezu genießen, nicht mehr nach seinem zentralen Wahlversprechen gefragt zu werden, nämlich die SPD möglichst schnell aus der ungeliebten GroKo mit der CDU/CSU herauszuführen. In der Corona-Krise ist die SPD mehr Regierungs- und Verantwortungspartei denn je. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken kann es recht sein, dass kaum jemand in Partei und Öffentlichkeit sich mit ihrer prekären Existenz am Rand des Berliner Geschehens befasst.

Joe Kaeser: Der seit 2013 amtierende Vorstandschef der Siemens AG hat den Weltkonzern mit 385.000 Mitarbeitern und 90 Milliarden Umsatz umgekrempelt wie keiner vor ihm. Und sich zugleich gegenüber der Nation als Oberpriester für Moral inszeniert. Intern hat er durch sein selbstherrliches Auftreten und seine Alleingänge für viel Ärger und Verwirrung gesorgt, ebenso mit seinen Anbiederungsversuchen gegenüber „Fridays for Future“. Jetzt hat er ziemlich abrupt angekündigt, im Februar 2021 als Konzernchef auszuscheiden und dennoch bleiben zu wollen – als Aufsichtsratschef bei Siemens Energy. Das wiederum hat zwei hochrangige Manager zur Flucht veranlasst. Kaeser hinterlässt einen „Konzern in Unruhe“ (SZ). Doch Corona erspart ihm den öffentlichen Pranger.

Und die Moral von der Geschichte? Die große Krise schlägt die kleinen – und macht Verlierer zu heimlichen Krisengewinnlern.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 23. März 2020.)


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