14.01.2021

Spahn ist im Kampf gegen Corona optimistischer als seine Kritiker

„Das Wort hat der Angeklagte Jens Spahn“. Nein, so hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Regierungserklärung des Bundesgesundheitsministers zum Start der Impfkampagne gegen Covid-19 nicht angekündigt. Doch aus Sicht der Opposition wie auch nach Meinung der mitregierenden SPD hat der CDU-Politiker „versagt“ (AfD), keinen Impfgipfel der Pharmaindustrie einberufen (SPD), den Impfstart „beschämend“ vorbereitet (FDP) und ein „Chaos“ (Linke) angerichtet.

Der CDU-Politiker Spahn, dessen Arbeit in der Bevölkerung nach wie vor deutlich besser benotet wird als in politischen Hauptstadtzirkeln, trat nicht auf wie einer, der sich großer Schuld bewusst wäre. Dass beim Beginn der Impfaktion manches hätte besser laufen können, stritt er nicht ab: „Wir lernen aus Erfahrung“. Spahn verteidigte selbstbewusst die gemeinsame Impfstoff-Bestellung durch die EU. Ein deutscher Alleingang hätte nicht im langfristigen Interesse der Bundesrepublik gelegen. Auf den vielfach geäußerten Vorwurf, die EU habe ihre Bestellungen zu zögerlich aufgegeben, zu wenig bei Biontech geordert und zu sehr auf den Preis geachtet, ging er nicht ein. Da konnte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner punkten: Die EU habe 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen beschlossen, aber beim Impfstoff „geknausert“.

Gesundheitsminister Spahn ließ keinen Zweifel daran, dass Deutschland eine der schwersten Phasen der Pandemie durchmache, dass das Abwägen zwischen verschiedenen Alternativen noch nie so schwierig gewesen sei wie heute. Doch seine positive Grundeinstellung überwog: Noch nie sei ein neuer Impfstoff so schnell entwickelt worden; die größte Impfkampagne in der Geschichte Deutschlands sei angelaufen. Inzwischen seien bereits mehr als 750.000 Menschen geimpft worden. Spahn wörtlich: „Jetzt ist die Zeit der Zuversicht. Wir sind auf dem Weg raus aus der Pandemie.“

Das eigentlich Spannende an dieser parlamentarischen Auseinandersetzung war die Frage, ob die SPD ihren Schwerpunkt noch im Mitregieren sieht oder sich bereits mehr auf den Wahlkampf verlegt hat. Schließlich hat Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat, dem Kollegen Gesundheitsminister einen Fragebogen zur Corona-Politik vorgelegt, der sich wie eine Anklageschrift liest. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas widersprach der Interpretation, die Fragen des SPD-Kanzlerkandidaten seien Wahlkampfgetöse, wollte wissen, ob Spahn zusätzlich zur EU-Bestellung nicht früher zusätzliche Mengen für Deutschland hätte bestellen müssen. Auch Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), griff mit kritischen Worten an die Adresse Spahns in die Debatte ein. So wurde deutlich: Beim Thema Corona steht die Regierungspartei SPD den oppositionellen Freien Demokraten in manchen Punkten näher als dem Koalitionspartner CDU/CSU.

Spahns optimistischer Grundton wurde nicht nur von Rednern aus den Reihen der Union geteilt. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, kritisierte zwar manche „lebensfremde“ Einschränkung, sah aber ebenfalls Licht am Ende des Tunnels: „Das Impfen macht Hoffnung.“ Was den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion Carsten Schneider in seiner Einschätzung bestätigte, die Grünen würden immer mehr zu „Regierungssprechern der CDU“. Der „Angeklagte“ Spahn nahms amüsiert zur Kenntnis.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 12. Januar 2021)


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