13.07.2021

Die Lufthansa hebt gendergerecht ab

Man muss sich das Top-Management der Deutsche Lufthansa AG als eine Ansammlung glücklicher Männer und Frauen vorstellen. Man könnte meinen, sie hätten derzeit keineswegs mit den anhaltenden wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen, nicht mit riesigen Verlusten, nicht mit düsteren Perspektiven für den ertragsreichsten Teil des Geschäfts, die Geschäftsreisen. Wenn das so wäre, könnte man nachempfinden, dass die Führungskräfte derzeit nichts Wichtigeres zu tun haben, als über eine „gendergerechte Sprache“ nachzudenken.

Nun befindet sich der „Kranich“ keineswegs im Höhenflug. Vielmehr kann die Airline nur mit Hilfe eines neun Milliarden Euro schweren staatlichen Rettungspakets noch vom Boden abheben. Dafür will der Luftfahrtkonzern aber mit an der Spitze des Fortschritts stehen, wenn es darum geht, die verbliebenen Passagiere gendergerecht zu begrüßen. Vielleicht als kleiner Trost dafür, dass der Service an Board sich gegenläufig zu den Tarifen entwickelt: immer weniger für immer mehr Geld.

Wer sich angeschnallt hat und auf den Start wartet, soll künftig nicht mehr die vertraute Begrüßungsformel „Sehr geehrte Damen und Herren“ vernehmen. Um „alle Passagiere anzusprechen“, schallt demnach ein freundliches „Guten Tag“, „Guten Abend“ oder „Herzlich willkommen an Bord“ aus den Lautsprechern. Alternative Anreden wären nach Angaben eines Unternehmenssprechers ein einfaches „Guten Morgen“ oder „Liebe Gäste“. Die Entscheidung sei im Kontext einer breiteren Diskussion gefallen, in der es darum gehe, alle Gäste an Bord wertzuschätzen.

Oh glückliches Unternehmen, das keine anderen Sorgen hat, möchte man da ausrufen. Offenbar sind selbst Spitzenmanager nicht vor der Versuchung gefeit, bei den vor allem in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und im linksgrünen politischen Spektrum zu verortenden Gender-Fans politisch-korrekt zu punkten. Was die Mehrheit der Bevölkerung denkt, ist den Lufthansa-Bossen offenbar gleichgültig. Denn alle Umfragen ergeben, dass die Mehrheit auf eine geschlechtsneutrale Sprache keinen Wert legt – auch nicht die Mehrheit der Frauen.

Nun kann man argumentieren, die Anrede „Meine Damen und Herren“ schließe Personen aus, die sich selbst weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen. Die gibt es und sie sind um ihr Schicksal nicht zu beneiden. Aber es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe. Bis Ende vergangenen Jahres hatte ganze 275 Personen von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht, für sich das Geschlecht „divers“ eintragen zu lassen. Auch wenn nicht alle diversen Personen ihr bisheriges Geschlecht im Pass ändern lassen: Die Wahrscheinlichkeit, dass in jedem Lufthansa-Flieger mindestens ein diverser Passagier sitzt, ist minimal.

Ganz abgesehen davon: Zu Ende gedacht haben die LH-Sprachkünstler ihr Konzept offenbar nicht. Die Begrüßungsformel „Liebe Gäste“ ist der Plural des maskulinen Substantivs „der Gast“. Dabei sind, strenggenommen, nicht einmal die Frauen berücksichtigt. Von der Wertschätzung „aller Menschen an Board“ kann da wohl nicht die Rede sein.

Was die Lufthansa mit ihrem „Neusprech“ erreichen will, lässt sich nur erahnen: Ein Imagegewinn bei der sehr kleinen, in der Öffentlichkeit aber sehr lauten Gender-Fraktion. „Denken wir zu viel mit dem Kopf?“ hieß es in einer Anzeigenkampagne der Airline. Nun bedarf es keiner allzu intensiven Kopfarbeit, um zu folgendem Schluss zu kommen: Mit ihrer Gendersprache gefährdet die Lufthansa nicht die Flugsicherheit; pünktlicher wird sie damit aber auch nicht.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. Juli 2021)


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