09.05.2022

Mit Günther triumphiert ein lupenreiner „Merkelianer“

So sehen Sieger aus: Daniel Günther hat die CDU in Schleswig-Holstein zurückgeführt auf inzwischen unerreichbar erscheinende Höhen. Mit 43,4 Prozent nach 32 Prozent hat er die Landtagswahl noch klarer gewonnen als erwartet. Günther und die CDU können sich wohl aussuchen, mit wem sie koalieren wollen – mit den Grünen oder mit der FDP. Einer der beiden Partner in der bisherigen Jamaika-Koalition wird jedenfalls nicht mehr gebraucht.

Unabhängig von künftigen machtpolitischen Konstellationen können die Grünen sehr zufrieden sein. Das Ansehen, das ihre Bundesminister Annalena Baerbock, Robert Habeck und Cem Özdemir genießen, hat die Wähler im Norden beeindruckt. Mit 18,1 Prozent liegen sie deutlich über den 12,9 Prozent von 2017 und ebenfalls über ihren 14,8 Prozent bei der Bundestagswahl.

Für die FDP ist das Ergebnis dagegen enttäuschend: nur noch 6,4 nach 11,5 Prozent. Offenbar haben viele bürgerliche Wähler die CDU gestärkt, weil sie den Freien Demokraten zutrauten, in Kiel mit SPD und Grünen ebenfalls eine Ampel zu bilden. Schließlich ist Rot-Grün-Gelb bei den FDP-Anhängern nicht sonderlich populär.

Ein Desaster für die SPD

Für die SPD, die noch Ende März an der Saar triumphierte, ist das Ergebnis ein herber Rückschlag: nur noch 16 Prozent und damit fast halbiert gegenüber den ohnehin magerer 27,3 Prozent von 2017. Das dürfte nicht nur mit den sinkenden Zustimmungswerten für Bundeskanzler Olaf Scholz zu tun haben. Vielmehr zeigt sich auch in Schleswig-Holstein, wie sehr es auf den Spitzenkandidaten ankommt. Der wenig bekannte SPD-Spitzenmann, der erst seit 2020 wieder landespolitisch aktive Ex-Grüne Thomas Losse-Müller, hatte gegen den populären Günther keine Chance, zumal der Ministerpräsident seinen Amtsbonus geschickt nutzte.

Ein eher zwiespältiges Ergebnis für Merz

Die schleswig-holsteinische Wahl ist für die Bundes-CDU ein großer Erfolg. Nach vielen bitteren Niederlagen in den Ländern und dem Desaster bei der Bundestagswahl kann die CDU erstmals seit der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wieder einen deutlichen Sieg verbuchen. Friedrich Merz, der häufig an der Förde im Wahlkampfeinsatz war, wird das als Beleg für die eingeleitete Erneuerung der CDU verbuchen.

Beim näheren Hinsehen ist das Ergebnis für Merz eher zwiespältig. Mit Günther hat ein lupenreiner „Merkelianer“ gesiegt, der Angela Merkels Politik links der Mitte stets unterstützt hat, gerade in der Flüchtlingspolitik. Es war kein Zufall, dass Günthers Kultusministerin Karin Prien 2018 zu den Initiatoren der „Union der Mitte“ zählte, die gegen eine vom Merz-Lager geforderte konservativere Ausrichtung der Partei ankämpfte. Günther selbst hat sich zwei Mal bei Vorstandswahlen offen für die Merz-Besieger Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet eingesetzt. Auch beim dritten, erfolgreichen Anlauf von Merz dürfte er nicht für diesen gestimmt haben.

Günther ist der Grünste der Schwarzen

Günther steht für eine gesellschaftspolitisch liberalere Politik als Merz. Er ist der mit Abstand Grünste unter den Schwarzen, weshalb er 2017 in Kiel den Aufbruch nach Jamaika schaffte, was wenige Monate später im Bund scheiterte. Seit Günther sogar für den Osten Bündnisse zwischen CDU und der Linkspartei ins Gespräch gebracht hat, firmiert er unionsintern auch als „Genosse Günther“. Er ist – alles in allem – in der Union das Gegenteil von Merz.

Jede Landtagswahl wird von landesspezifischen Faktoren geprägt. Das war beim Absturz der CDU an der Saar ebenso der Fall wie jetzt im hohen Norden. Gleichwohl bedeutet das schleswig-holsteinische Ergebnis Rückenwind für die CDU in Nordrhein-Westfalen, wo am kommenden Sonntag gewählt wird. Sollte Hendrik Wüst dort die Staatskanzlei nicht verteidigen können, wäre das für Friedrich Merz ein schwerer Rückschlag. Daniel Günther hingegen wird – so oder so – in den innerparteilichen Diskussionen über den Kurs der CDU an Gewicht gewinnen – zu Lasten des Vorsitzenden.

Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt dieser Wahl: Zum ersten Mal seit 2014 ist die AfD bei einer Landtagswahl unter 5 Prozent geblieben. Auch die Linkspartei rangiert unter „ferner liefen“. In Schleswig-Holstein hat also die Putin-Fraktion verloren – und die Demokratie gewonnen.

(Aktualisierte Fassung des am 8. Mai 2022 auf www.focus.de veröffentlichten Kommentars.)


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