14.06.2022

Lindner und Habeck: Zwei Alpha-Tiere im Dauerclinch

Im Herbst 2018 dachte noch niemand an eine Ampel-Koalition im Bund. Da pflegten FDP und Grüne noch ein Verhältnis, das eher angespannt denn entspannt war. Da ging es zwischen den Parteivorsitzenden Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) öfters hart zur Sache. Da warf der Oberliberale dem Obergrünen in einer Talkshow an den Kopf, er sei „cremig“. Also irgendwie nicht zu fassen, ohne Substanz. Worauf Habeck beleidigt reagierte.

Habeck und Lindner sind ziemlich beste Konkurrenten

Das würde Lindner heute nicht mehr über seinen Kabinettskollegen sagen. Wenn die beiden gemeinsam vor Kameras stehen, präsentieren sie sich fast als ziemlich beste Freunde. Da scherzt der Christian mit Robert und der grüne Kumpel mit dem gelben. Doch in Wirklichkeit sind die beiden ziemlich beste Konkurrenten. Jedenfalls bilden der Bundesfinanzminister und der Bundesminister für Wirtschaft und Klima nicht gerade ein „Dream Team“.

Das hatte kurz nach der Bundestagswahl noch ganz anders ausgesehen. Damals schwebten Habeck und Lindner im siebten Selfie-Himmel, waren sich einig, sich von der stärkeren SPD nichts bieten zu lassen. Im Gegenteil: FDP und Grüne schwelgten in den neuen Zeiten, in denen zwei „mittelgroße Parteien“ zusammen stärker seien als die gar nicht mehr so große SPD. Tja, was war das doch für eine schöne, grün-gelbe Idylle.

Doch ganz schnell kam es zum Zweikampf zwischen den beiden: Habeck, der so gerne Kanzlerkandidat gewesen wäre, wollte ins Finanzministerium. Dorthin, an die Kasse, strebte auch Lindner. Da die Grünen mit dem Außenministerium für ihre glücklose Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bereits das zweitwichtigste Ressort für sich reklamiert hatten, konnte, durfte und wollte die FDP bei Finanzen zugreifen. Habeck zog nun auch gegen Lindner den Kürzeren und musste mit dem Wirtschaftsministerium vorliebnehmen. Allerdings verleibte er das zentrale Thema der Öko-Partei – Klimapolitik – in sein Haus ein.

Der Krieg in der Ukraine verändert das Kräfteverhältnis zwischen den Ressorts

Lindner schien mächtiger als Habeck, bis der Krieg in der Ukraine das Wirtschaftsministerium, das auch für Energie zuständig ist, deutlich aufwertete. Überdies ist Habeck ein begnadeter Kommunikator. Er schafft es besser als jedes andere Kabinettsmitglied, die Menschen an seinen Überlegungen, ja auch an seinen Bedenken und Zweifeln teilhaben zu lassen.

„Er ist der deutsche Meister im Sowohl-als-auch, er redet oft einfach so lange, bis wirklich für jeden Geschmack etwas dabei ist,“ charakterisierte die „SZ“ kürzlich den Stil des Grünen. Lindner dagegen spricht eher Klartext, versucht es nicht allen recht zu machen, eckt bisweilen auch an. Sein Ton ist schneidender. Er will mit Argumenten punkten, nicht mit politisch-philosophischer Rhetorik.

Habecks Stil kommt indes sehr gut an. Das Ergebnis: 60 Prozent der Deutschen sind mit Habeck zufrieden, „nur“ 42 Prozent mit Lindner, wenngleich das ein Spitzenwert für einen FDP-Politiker ist. Dank Habeck und Außenministerin Baerbock liegen die Grünen in Umfragen inzwischen deutlich über 20 Prozent, während die FDP unter ihrem Bundestagswahlergebnis bleibt.

Habeck und Lindner folgen unterschiedlichen Leitbildern

Bisweilen knirscht es laut zwischen Habeck und Lindner. Das ist - jenseits jeden „Schönheitswettbewerbs“ - inhaltlich begründet. Lindner ist ein überzeugter Marktwirtschaftler, gibt der Freiheit des Einzelnen – Individuen wie Unternehmen - Vorrang vor staatlichen Eingriffen. Sein Leitbild ist der selbständige, selbstbewusste Bürger.

Habeck hingegen würde, wenn er allein regierte, den betreuten Bürger in den Mittelpunkt stellen. Ihm schwebt, wie allen Grünen, ein fürsorglicher, regulierender Staat vor. Der „grüne Staat“ weiß besser als der Einzelne, was der Gesellschaft und ihren Bürger guttut. Grüne Politik zieht im Zweifelsfall ein Gebot oder Verbot einem System von Anreizen vor.

Was in der Ampel geht und was nicht, ist eigentlich im Koalitionsvertrag festgelegt – eigentlich. Nur konnte im Herbst niemand den russischen Überfall auf die Ukraine vorhersehen, weshalb der Staat plötzlich vor neuen Herausforderungen steht. Das illustriert die Forderung der Grünen nach einer „Übergewinnsteuer“. Mit ihr soll verhindert werden, dass Unternehmen – vor allem die Mineralölindustrie – von den steigenden Energiepreisen überproportional profitieren, oder dass Unternehmen der Rüstungsindustrie sich über steigende Gewinne freuen können.

Habeck will diese Gewinne mit einer Sondersteuer belegen. Lindner hingegen sagt strikt Nein, weil sich Sondergewinne gar nicht genau abgrenzen ließen, und weil er um die Wettbewerbsfähigkeit innovativer deutscher Unternehmen fürchtet. Da im Koalitionsvertrag das Wort Übergewinnsteuer gar nicht vorkommt und jegliche Art von Steuererhöhung ausgeschlossen wird, hat Lindner hier die besseren Karten. Habeck musste einräumen, dass eine Übergewinnsteuer in dieser Koalition nicht durchsetzbar ist.

Kritik an der FDP wegen des Tankrabatts

Umgekehrt kann Habeck öffentlich seine Freude kaum verhehlen, dass der von der FDP auf den Weg gebrachte „Tankrabatt“ zum Teil in den Kassen der Mineralölwirtschaft landet. Der Wirtschaftsminister will deshalb die Gesetze gegen Missbrauch von Marktmacht schärfen. Da bleibt Lindner nichts anderes übrig, als das gutzuheißen.

An strittigen Themen herrscht zwischen Habeck und Linder ohnehin kein Mangel. Der FDP-Mann mokierte sich mehr als einmal, wenn der grüne Kollege unabgestimmt in die Offensive ging: geringere Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel, ein 365-Euro-Jahresticket für alle oder der Ruf nach Tempo 130. Umgekehrt war Habeck „not amused“, als Lindner die unter der Großen Koalition faktisch gescheiterten Pläne für ein europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen (TTIP) plötzlich aus der Schublade zog. Das wollten selbst die Amerikaner nicht, lautete Habecks abwertender Kommentar.

Einig sind sich die beiden Politiker, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen zu entlasten, nicht jedoch über das „Wie“. Habeck ist mit dem Vorschlag vorgeprescht, dies über eine Erhöhung der Steuersätze für Einkommen von mehr als 80.000 Euro im Jahr zu finanzieren. Dazu müsste der Spitzensteuersatz von 42 auf 57 Prozent steigen. Dabei schließt der Koalitionsvertrag höhere Steuersätze kategorisch aus. Der Konter von Lindner ließ nicht lange auf sich warten. „Das wäre eine Sabotage an der wirtschaftlichen Erholung“, wetterte der Liberale.

Dissens auch in der Energiepolitik

Zweifellos wäre es von Vorteil, wenn das Wirtschafts- und das Finanzministerium bei der Energiepolitik an einem Strang zögen. Doch beim Thema Kernkraft liegen zwischen den beiden Ministern und ihren Parteien Welten. Lindner will „unideologisch über Fragen der Energieversorgung sprechen. Es geht um Bezahlbarkeit und um die Einsparung von CO2-Emissionen." Ein teilweiser Ausstieg aus dem Atomausstieg böte sich aus Lindners Sicht durchaus an.

Das wiederum kommt für Habeck überhaupt nicht in Frage. Seine Entgegnung: "Ideologiefrei, fachlich wurde das Thema zu Beginn der Legislatur durchgeprüft. Es ist aus den Fachministerien heraus entschieden und politisch auch, dass es da keinen Weg in Deutschland weiter geben wird.“ „Atomkraft, nein danke!“ Die Grünen halten eisern an diesem Grundsatz aus ihren Anfangszeiten fest.

Habeck und Lindner haben eines gemein: Sie müssen den eigenen Wählern viel erklären

Habeck und Lindner trennt nicht nur vieles; sie haben auch eine wichtige Gemeinsamkeit. Beide müssen ihren eigenen Parteien und Wählern erklären, dass ein Dreierbündnis - gerade in Zeiten des Kriegs um die Ukraine mit all seinen Folgen - zu schwierigen Kompromissen zwingt. Wenn Habeck zu den Erdgas-Scheichs nach Katar fliegt oder das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr verteidigt, fühlt sich mancher pazifistisch angehauchte Öko-Fundi im falschen Film.

Lindner wiederum tut sich schwer, der eigenen Klientel zu erklären, dass es kein Widerspruch sein soll, durch Nebenhaushalte die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben, und sich gleichzeitig zu rühmen, Lordsiegelbewahrer der Schuldenbremse zu sein. Der Spagat zwischen Programm und Praxis scheint Habeck bisher besser gelungen zu sein als Lindner, sofern man das Abschneiden ihrer Parteien bei den Landtagswahlen zum Maßstab nimmt.

Kurz nach der Bundestagswahl hatten Lindner und Habeck zusammen mit Baerbock und dem damaligen FDP-Generalsekretär Wissing stolz auf Instagramm verkündet, man lote „Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche.“ Knapp neun Monate später ist von diesem Zauber nicht mehr viel zu spüren. Man hat den Eindruck, Habeck und Lindner müssten sich dringend gemeinsam auf die Suche machen - nach neuen Brücken.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 14. Juni 2022)


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