20.06.2022

Fünf Jahre nach seinem Tod hat Altkanzler Kohl noch immer keinen Grabstein

Erbauseinandersetzungen ziehen sich oft lange hin, auch im übertragenen Sinn. In diesen Tagen (16.Juni) jährt sich der Todestag von Altkanzler Helmut Kohl zum fünften Mal. Doch die Frage, was mit dem Nachlass des Kanzlers der Einheit geschieht, ist und bleibt ungeklärt. Selbst die Grabstätte in Speyer präsentiert sich immer noch in einem provisorischen Zustand.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2002 hatte Kohl seinen Nachlass der Konrad-Adenauer-Stiftung übergeben. Doch ließ er die Akten bald wieder in seinen Bungalow im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim bringen, weil er sie für die Abfassung seiner Memoiren benötigte. Dort lagern sie noch heute. Wer sie einsehen darf, entscheidet allein seine Witwe Maike Kohl-Richter. Die lässt zwar schon mal ihr Nahestehende einen Blick in die Aktenordner werfen. Das Bundesarchiv, das gleich nach dem Tod Kohls Anspruch auf diese Hinterlassenschaft erhob, hat aber keinen Zugriff. Ebenso wenig die im Jahr 2021 vom Bund errichtete „Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung“.

Nachlass offenbar nicht erfasst

Was da im Oggersheimer Keller lagert, weiß niemand so genau. Offenbar hatte es die Adenauer-Stiftung versäumt, den Nachlass genau zu erfassen und zu katalogisieren. Zudem ist es rechtlich nicht einfach, genau zu unterscheiden, bei welchen Unterlagen es sich um amtliche Schriftstücke handelt, auf die der Staat Anspruch hat, was der Partei zuzuordnen ist und was ausschließlich privaten Charakter hat. Für die streitbare Witwe spielt das alles keine Rolle: Sie beansprucht alles für sich - und die Deutungshoheit über Kohls Lebenswerk obendrein.

Bei Kohl Vorgängern Willy Brandt und Helmut Schmidt ist die Lage einfacher. In beiden Fällen haben die Erben den Nachlass den entsprechenden Bundesstiftungen übergeben. Das kommt für Kohl-Richter indes nicht in Frage. Sie hat vielmehr eine eigene Helmut-Kohl-Stiftung gegründet, in der sie mehr oder weniger allein das Sagen hat. Auch weigert sie sich, in der Stiftung des Bundes mitzuarbeiten, wie das Brandts Witwe und Schmidts Tochter ganz selbstverständlich tun.

Die eigenwillige Witwe

Ähnlich diffus wie um den Nachlass ist es auch um die Grabstätte bestellt. Kohl wurde auf ausdrücklichen Wunsch Kohl-Richters nicht im Ludwigshafener Familiengrab zu letzten Ruhe gebettet, sondern auf einem kleinen Friedhof in Speyer. Das hat die Kluft zwischen Kohls zweiter Frau und den Söhnen Peter und Walter noch vertieft und vor fünf Jahren zum öffentlichen Eklat geführt. Kohls Söhne nahmen demonstrativ weder am Trauerakt im Straßburger Europaparlament noch an der Beisetzung in Speyer teil.

Wäre es nach ihnen gegangen, wäre ihr Vater bei seiner 2001 aus dem Leben geschiedenen Frau Hannelore bestattet worden. Doch rechtlich konnte Kohl-Richter ihre Vorstellungen durchsetzen ohne die Wünsche der Söhne zu beachten. Wobei sie den Vorteil hat, sich bei allem auf den Willen ihres verstorbenen Mannes berufen zu können. Was dieser vor seinem Tod wirklich gesagt und gewünscht hat, weiß aber niemand.

So eigenwillig wie bei Kohls Nachlass verfährt Kohl-Richter auch bei der Grabstätte. Sie ließ das Grab mit einem hässlichen Drahtzaun eingrenzen und eine Überwachungskamera installieren. Mit deren Hilfe konnte sie aus dem knapp 30 Kilometer entfernten Kohl-Bungalow in Oggersheim jederzeit beobachten, wer sich dem Grab nähert. An den Grabstätten von Brandt in Berlin und Schmidt in Hamburg kann jeder, der die Altkanzler ehren will, Blumen niederlegen. Das ist in Speyer nicht möglich. Dort ist eine Stelle außerhalb des Zaunes zum Ablegen von Blumen markiert. Fremde Blumengebinde lässt Kohl-Richter indes in der Regel entfernen. Ein großer Kranz, den der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zum 92. Geburtstag Kohls im April niederlegen ließ, wurde vor dem Zaun in die äußerste linke Ecke gestellt.

Was dem Altkanzler nicht gefallen würde

Am fünften Todestag ist das Grab des „Kanzlers der Einheit“ noch immer ein Provisorium. Es ist zwar inzwischen mit weißem Sandstein eingefasst. Aber unverändert erinnert nur das Holzkreuz aus der Zeit nach der Beerdigung daran, dass hier der Ehrenbürger Europas seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Zu recht nannten die Kohl-Söhne den Zustand des Grabes „unwürdig“.

Die Oberbürgermeisterin von Speyer, Stefanie Seiler (SPD), hatte die Witwe schon vor längerer Zeit aufgefordert, die Grabstätte endlich fertigzustellen und Zaun sowie Überwachungskamera abzubauen. Dabei machte das Stadtoberhaupt die Erfahrung, dass Kohl-Richter einen recht eigenwilligen Kommunikationsstil pflegt. Selbst offizielle Anfragen lässt sie monatelang unbeantwortet. Immerhin scheint die bisher gut sichtbare Kamera abgebaut worden zu sein; jedenfalls ist sie nicht mehr zu sehen. Allerdings weist ein Schild am Zaun darauf hin, dass der Ort überwacht werde.

Helmut Kohl war ein Mann, der stets auf geordnete Verhältnisse Wert legte. Es ist schwer vorstellbar, dass der Streit um den Nachlass, das Nebeneinander von zwei Stiftungen und eine nach fünf Jahren noch immer nicht fertiggestellte Grabstätte wirklich seinem letzten Willen entsprechen. Und noch eines würde dem Altkanzler nicht gefallen: dass Kohl-Richters eigenwillige „Testamentsvollstreckung“ einen Schatten auf seine historischen Leistungen wirft.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 16. Juni 2022)


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