23.06.2022

Parteien suchen nach Lösungen in der „Teuerspirale“ - mit bitterem Ende für alle Bürger

Nahe bei den Menschen sein, die Sorgen und Ängste der Bürger ernst nehmen, niemanden zurücklassen. Solche Formeln gehen Politikern ganz unabhängig von der Farbe des Parteibuchs leicht von den Lippen. Wenn zurzeit viele über exorbitante Energiepreise, stark verteuerte Lebensmittel und eine Inflationsrate von acht Prozent klagen, dann liegt es nahe, dass die Volksvertreter sich dieses Themas annehmen. Aber nicht jeder tut das auf gleiche Weise.

Die CDU/CSU-Opposition nutzte am Donnerstag die Gelegenheit, sich als Sachwalter der kleinen Leute wie der Wirtschaft zu präsentieren. Sie legte dem Bundestag eine lange Liste mit Forderungen vor, um die Folgen der Inflation zu mildern. So soll die Energiepreispauschale auch Rentnern, Studenten und Transferempfängern zugutekommen, die Stromsteuer für Private wie Unternehmer soll ebenso gesenkt werden wie der Preis für Industriestrom. Unter anderem will die CDU/CSU die „kalte Progression“, die dem Staat dank der Inflation Milliarden in die Steuerkassen spült, rückwirkend zum 1. Januar vollständig ausgleichen.

Ampel-Parteien sind mit sich zufrieden

Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sorgten sich in der 80 Minuten langen Aussprache verbal nicht weniger um die Bürger als die Opposition. Aber sie denken nicht daran, auf zwei Entlastungspakete schnell noch ein drittes folgen zu lassen. Dabei haben schon mehrere Politiker aus ihren Reihen zusätzliche Entlastungen für die privaten Haushalte gefordert. Aber es gehört zum parlamentarischen Ritual, dass Regierungsparteien und Opposition grundsätzlich schlecht oder falsch finden, was die andere Seite fordert, selbst wenn man es insgeheim ebenfalls anstrebt.

Auffällig war, dass die Regierung den Vorstoß der Opposition bewusst als nicht sonderlich bedeutsam abzutun versuchte. Die Ampelparteien schickten ausnahmslos Redner aus der zweiten und dritten Reihe ans Rednerpult. Für Bundeskanzler Olaf Scholz war verständlicherweise der EU-Gipfel wichtiger als diese Entlastungsdebatte, und Wirtschaftsminister Robert Habeck zog es vor, zur selben Stunde eine Pressekonferenz zur Energiekrise anzusetzen.

Bekundungen von Mitgefühl

Finanzminister Christian Lindner hörte sich die Redeschlacht zwar an, griff aber selbst nicht ein. So zeigte er gegenüber der Opposition auf geschickte Weise Respekt und Distanz zugleich. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nahm an der Debatte wohl schon deshalb nicht teil, weil der Kanzler nicht da war. Immerhin schickte die CDU/CSU mit den beiden Ex-Ministern Julia Klöckner und Jens Spahn zwei aus der ersten Reihe ins Gefecht.

An Bekundungen von Mitgefühl ließen es die Redner nicht fehlen. „Die Rentner nicht vergessen“ (Klöckner), „alle gut durch die Krise bringen“ (Michael Schrodi/SPD), „den Menschen, die es wirklich brauchen, helfen“ (Andreas Audretsch/Grüne) - alle hatten solche Formulierungen im Manuskript. Doch den größten Teil der Redezeit widmeten sie Vorwürfen an die andere Seite. Aus Ampel-Sicht sind die Unionsvorschläge unseriös und unglaubwürdig, aus der Perspektive der Union hingegen lässt die Regierung die Bürger im Stich.

Vor Oktober keine neuen Entlastungen

So verlief die Debatte über den Antrag, „Teuerspirale beenden“, nicht anders als viele andere unter der Reichstagskuppel: Sehr schnell ging es mehr um parteipolitische Geländegewinne als um das ernsthafte Bestreben, die von der Inflation gebeutelten Bürger so zu entlasten, dass die Staatsverschuldung nicht ins Unermessliche steigt. Denn der Vorstoß der CDU/CSU litt unter einem Konstruktionsfehler: Bei keinem einzigen Vorschlag stand dabei, was er kosten wird und wie er finanziert werden soll.

Am Ende stand das erwartbare Ergebnis: Die Ampel-Parteien lehnten die CDU/CSU-Initiative ab, dabei unterstützt von AfD und Linkspartei. Damit steht eines fest: Über zusätzliche Entlastungen kann der Bundestag frühestens im Herbst entscheiden. Denn nach der ersten Juli-Woche geht das Parlament in Ferien. Auf weitere mitfühlende Worte werden die Bürger auch in der parlamentarischen Sommerpause nicht verzichten müssen, auf zusätzliche Hilfen schon.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. September 2022)


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