14.03.2023

In der möglichen Berliner GroKo ist mehr Rot als Schwarz drin

Für die Berliner Jusos steht fest: Mit der „reaktionären und rassistischen“ CDU kann und darf es keine Koalition geben. Der linke Flügel der Berliner Genossen, die nach mehr als sechs Jahren Rot-Grün-Rot auf historisch niedrige 18,4 Prozent abgestürzt sind, macht ebenfalls gegen Schwarz-Rot mobil. Nun gut, die Aussicht, das Amt des Regierenden Bürgermeisters nach 22 Jahren räumen zu müssen, schmerzt. Da erscheint es viel verlockender, im rot-grün-roten Trott weiterzumachen. Zumal „fortschrittliche“ SPD-Genossen jeden Alters in den Politikern der Linkspartei alias SED nur lupenreine Demokraten sehen, während sie CDU-Politiker generell unter Rechtsextremismus-Verdacht stellen.

Lässt man freilich die ideologischen Gefechte und Scheingefechte beiseite, drängt sich die Frage auf, was Sozialdemokraten gegen eine Koalition mit dem Wahlsieger CDU inhaltlich einwenden könnten. Nimmt man das achtseitige „Gemeinsames Sondierungspapier von CDU und SPD“ vom 9. März zum Maßstab, dann müssten eigentlich die Berliner CDU-Mitglieder Sturm laufen. Wo einträchtig CDU und SPD draufstehen, ist nämlich viel mehr Rot als Schwarz drin.

„Gut ist uns nicht gut genug“

Das beginnt damit, dass die CDU der SPD ein großes Kompliment macht. Sie unterschreibt nämlich den Satz, „es geht darum, Berlin noch besser zu machen.“ Noch besser? Da denkt man unwillkürlich an den alten Hertie-Slogan von 1990 „Gut ist uns nicht gut genug.“ Der klang recht eingängig, kam aber der Vorspiegelung falscher Tatsachen recht nahe. Der Warenhauskonzern war eben nicht gut genug, um nicht schon vier Jahren später von Karstadt gerettet werden zu müssen.

Es müsste sozialdemokratische Herzen doch erwärmen, wenn die CDU – anders als im Wahlkampf – der vom rot-grün-roten Pannensenat mehr schlecht als recht verwalteten Hauptstadt ein doch sehr befriedigendes Zeugnis ausstellt. Da ein bisschen ausbessern, da ein bisschen verbessern – und schon ist alles „noch besser“.

„Noch besser“ aus Sicht linker Sozialdemokraten dürfte sich lesen, was in dem Sondierungspapier zu Weltoffenheit und Vielfalt gesagt wird. „Wir engagieren uns konsequent im Kampf gegen jede Form von Extremismus, Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus“, heißt es da. Da wird der rot-grün-rote Koalitionsvertrag von 2021 gleich auf doppelte Weise weiterentwickelt. Damals hieß es schlicht, „Wir bieten jeder Form von Extremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit, Hass und Hetze die Stirn.“ Jetzt, mit Hilfe der CDU, wird der Rechtsextremismus eigens hervorgehoben, der Linksextremismus hingegen nicht einmal erwähnt. Da wird man sich in bestimmten Berliner Kiezen sehr freuen – und auf dem linken SPD-Flügel sollte man das auch.

Väterchen Staat soll für Wärme und Energie sorgen

„Feminist:innen (m/w/d)“ dürfen sich ebenfalls freuen. „Berlin bleibt die Stadt der Frauen“, versprechen CDU und SPD. Damit dürfte gesichert sein, dass der „Frauenkampftag“ als Errungenschaft des real-existierenden Sozialismus à la DDR als arbeitsfreier Feiertag erhalten bleibt. Berlin wird demnach unter CDU-Führung sein „Weltniveau“ halten, um es im DDR-Jargon zu formulieren. Schließlich befindet es sich am 8. März feiertagspolitisch auf Augenhöhe mit Ländern wie Russland, Kuba, Angola, Burkina Faso oder Nordkorea.

Das Sondierungspapier ist an vielen anderen Stellen eine wahre Fundgrube für solche Berliner, die am 12. Februar nicht für einen grundlegenden Politikwechsel gestimmt haben. CDU und SPD bedienen den Wunsch nach noch stärkeren Eingriffen in den Wohnungsmarkt: „Auf Landes- und Bundesebene sollen Maßnahmen zur Mietpreisregulierung weiter vorangebracht werden“. Selbst eine „verfassungskonforme“ Verstaatlichung von Wohnungsbaukonzernen ist für die CDU kein Tabu mehr. Das Nähere soll ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ regeln. Apropos Verstaatlichung: Die CDU befürwortet „Pläne zum Erwerb der Fernwärme und von Anteilen an der GASAG“. Mit anderen Worten: Für Wärme und Energie soll Väterchen Staat sorgen.

Das Erbe von Rot-Grün-Rot will die CDU auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls nicht antasten. Der Landesmindestlohn von 13 Euro in der Stunde soll nicht nur beibehalten, sondern künftig „dynamisch erhöht“ werden. Dieser Mindestlohn wird von all den Unternehmen gezahlt, an denen das Land Berlin beteiligt ist oder entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten hat. Bei öffentlichen Aufträgen sollen nur Unternehmen zum Zug kommen, die mindestens 13 Euro – als mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro – zahlen. Diejenigen in der CDU, die noch wissen, wie man das Wort „Ordnungspolitik“ schreibt, dürften sich die Haare raufen.

Der Länderfinanzausgleich machts möglich

Berlin lebt bekanntlich in hohem Maße von den Milliarden, die Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Jahr für Jahr überweisen. Weil das so ist, kann der finanziell nicht auf Rosen gebettete Stadtstaat seinen Bewohnern mehr bieten als andere, reichere Länder. Dabei soll es bleiben. Schwarz-Rot will deshalb ein unbefristetes 29-Euro-Ticket für alle – unabhängig vom Einkommen – einführen samt eines Sozialtickets für 9 Euro. Natürlich soll auch die Gebührenfreiheit „von der Kita bis zur Hochschule“ erhalten bleiben. Der Länderfinanzausgleich machts möglich.

Ob den SPD-Linken, die so vehement gegen Schwarz-Rot streiten, eigentlich bewusst ist, mit wieviel „SPD pur“ sie unter einem CDU-Regierungschef rechnen dürfen? Allerdings lässt sich aus linksgrüner Sicht eines nicht übersehen: Die potentiellen Koalitionspartner verzichten offenbar unter Einfluss der CDU aufs Gendern. Im Sondierungspapier ist jedenfalls von „Berlinerinnen und Berlinern“ die Rede, nicht wie im bisherigen Koalitionsvertrag von „Berliner*innen“. Da bleiben die Diversen doch glatt außen vor. Das ist für die SPD-Linken natürlich harter Tobak. Nur: Einen Tod stirbt man immer.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 14. März 2023)


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