05.06.2023

AfD bei 19 Prozent: Merkels Werk und Merzens Beitrag

Jeder Zweite kann sich vorstellen, der AfD seine Stimme zu geben. Bei der Sonntagsfrage bekunden 17 bis 19 Prozent, die Rechtsaußen wählen zu wollen. In der politisch-medialen Blase dominiert die Frage, wer daran schuld ist. Sind es die Versäumnisse der CDU/CSU aus 16 langen Merkel-Jahren, insbesondere die Willkommenspolitik in der Flüchtlingskrise 2015? Ist es die Klima-Klima-Klima-über-alles-Politik der Ampel? Liegt es einer allgemeinen Unzufriedenheit, befeuert durch Inflation und wirtschaftliche Existenzängste? Oder haben viele Wähler einfach genug vom linksgrünen Anspruch, die Deutschen gründlich umzuerziehen - beim Sprechen, beim Denken und bei der Suche nach immer neuen Opfergruppen?

Über alles lässt sich diskutieren, wenn man ernsthaft darüber nachdenken will, was die teils rechtsradikale, völkische AfD so attraktiv macht wie die Sozialdemokraten und Grünen. Das Erschrecken über das neue demoskopische Hoch von Chrupalla, Weidel, Höcke & Volksgenossen führt indes zu grotesken Schlussfolgerungen. Folgt man grünen und roten Politikern ist es die böse CDU, die die Rechtsausleger so attraktiv macht: sei es durch das angebliche Fehlen einer Brandmauer gegen rechts, die vermeintliche Übernahme von AfD-Parolen oder das mutmaßliche Schielen auf schwarz-blaue Mehrheiten, zunächst in den Ländern, dann im Bund.

Dies alles passt zu der linksgrünen, nicht zuletzt von den öffentlich-rechtlichen Sendern befeuerten Generalannahme von der Alleinschuld der CDU/CSU an allein irdischen Übeln. Nach dieser Lesart ist die Union eine Partei gewordene politische Erbsünde. Alle Kräfte links von ihr haben darunter zu leiden, dass die CDU/CSU sozusagen im Alleingang das Land verändert und nach rechts gerückt hat.

Nun sind die meisten Begründungen für die Verantwortung der Union am AfD-Aufschwung etwas schmalbrüstig. Das müsste sich doch besser begründen lassen. Deshalb hier sechs „Belege“, warum die CDU/CSU die Alleinschuldige an der zu Gunsten der AfD veränderten politischen Stimmungslage ist - allesamt zu 100 Prozent politisch korrekt.

1) Das Erbe von 16 Jahren Angela Merkel

Alle Defizite in diesem Land - des Lesens und Schreibens unkundige Schüler wie baufällige Brücken - sind die Alleinschuld der CDU/CDU. Zwar haben zwischen 2005 und 2021 die Sozialdemokraten zwölf Jahre lang mitregieret und die Freien Demokraten vier. Die SPD war sogar in dem Vierteljahrhundert seit 1998 sogar 21 Jahre in der Regierung. Aber das sah nur so aus. In Wirklichkeit bestimmte die CDU/CSU die Agenda.

2) Das Versagen der Union in den Ländern

Die Zeiten, in denen CDU und CSU in den meisten Ländern die Ministerpräsidenten stellten, sind längst vorbei. Die Grünen regieren aktuell in mehr Ländern mit als die CDU. Gleichwohl ist offensichtlich: In den Ländern müssen SPD und Grüne noch immer aufräumen, was die CDU hinterlassen hat. Beispielsweise werden in Baden-Württemberg mit seinem seit zwölf Jahren amtierenden grünen Ministerpräsidenten weniger Windräder gebaut als in jedem anderen Land. Dann kann nur daran liegen, dass die CDU in ihren Hochzeiten im Südwesten wahrscheinlich die Badener und Schwaben mentalitätsmäßig negativ beeinflusst hat - und das nachhaltig.

3) Die unverantwortliche Kritik an der Ampel

Die Zeiten sind hart und die Regierung aus zwei linken und einer liberalen Partei tut sich schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Da müsste doch eine verantwortungsbewusste Opposition darauf verzichten, ständig Salz in offene Wunden zu streuen. Wer auf die Schwächen des die bestellte Führung nicht liefernden Kanzlers hinweist, fördert nur Unzufriedenheit der Wähler und hilft damit der Fundamentalopposition am rechten Rand. Wie verantwortungslos!

4) Das Ansprechen des Flüchtlingsthemas

Im Grunde hat sich in der Flüchtlingspolitik seit den Zeiten Angela Merkels nicht viel geändert. Deutschlands Grenzen sind offener als die anderer Länder, die staatliche Unterstützung für Zuwanderer großzügiger als anderswo, die Zahl der Abschiebungen lächerlich gering. Und was macht die CDU/CSU? Sie schämt sich nicht, auf diese Missstände hinzuweisen, begleitet von verdrucksten Hinweisen auf Fehlentwicklungen in der eigenen Regierungszeit. Das dürfte die Union nicht machen, weil die AfD ähnlich argumentiert. Die Beweislage ist eindeutig: Die CDU/CSU treibt so die Wähler an den rechten Rand.

5) Das altbackene Beharren auf korrektem Deutsch

Es ist aus der Sicht linksgrüner Volkserzieher zum Verzweifeln. 70 bis 80 Prozent der Deutschen lehnen ab, was Linksgrün als „gendergerechte“ Sprache bezeichnet. Selbst die Mehrheit der Frauen ist - wohl als Folge ihrer jahrhundertelanger Unterdrückung - gegen Genderstern und Schluck-auf-Sprache (Mitglieder - Pausen - innen). CDU und CSU nutzen jedoch das unterentwickelte Bewusstsein der Deutschen für politisch korrekten Neusprech schamlos aus. Schlimmer noch: Sie stellen sich an die Seite der Zwangsgebührenzahler, die sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Gestammel anhören müssen. Ist denn der Union nicht bewusst, dass die AfD ebenfalls über „Gendergaga“ lästert? Müsste die CDU/CSU nicht schon deshalb jede Kritik daran zum Tabu erklären? Wenn das kein Beweis für die Förderung der AfD ist, was dann?

6) Merz ist nicht rechts genug

Es stimmt: Friedrich Merz ist einst angetreten, die AfD zu halbieren. Damals lag diese Partei bei 15 Prozent. Merz hat also versagt, tönt es von links. In der Tat: Merz hat nicht das getan, was die Parteien links von der Union von ihm gleichzeitig erwartet und befürchtet hatten: dass er die CDU weit nach rechts rückt. Und was haben wir davon: Weil die Merz-CDU nicht mit allem gebrochen hat, wofür die Merkel-CDU stand, wächst die Unterstützung für die AfD. Klarer Fall: Merz und die CDU sind schuld.

Wo bleibt der AfD-Check der Union?

Die Beweislage ist also eindeutig. Die CDU/CSU ist alleinverantwortlich für alle deutschen Defizite. Angesichts der Schwere dieser Schuld, verbietet sich jede Kritik an der rot-grün-gelben Fortschrittskoalition von selbst. Die Union täte also gut daran, in Sack und Asche zu gehen, statt etwa das Heizungsgesetz Habecks zu kritisieren oder darauf hinzuweisen, dass das Verfeuern von Kohle mehr CO2 ausstößt, als das bei Kernkraftwerken der Fall ist. Ebenso ist es unredlich, auch nur zu erwähnen, dass aus Frankreich importierter Strom aus Kernkraftwerken stammt. So etwas tut eine anständige Opposition nicht.

Das Mindeste, was man von der CDU/CSU in diesen schweren Zeiten erwarten muss, ist die überfällige Einführung eines verbindlichen AfD-Checks. Jeder Unionspolitiker muss unbedingt jede Rede, jede Interview-Äußerung, jede Pressemitteilung darauf überprüfen, ob es zwischen seinen kritischen Äußerungen gegenüber der Ampel Parallelen zu Stellungnahmen der AfD gibt. Falls ja, ist Schweigen besser als Reden. Denn wer - siehe oben - verantwortlich ist für die aktuelle Stärke der AfD, darf diese nicht weiter fördern.

Fassen wir zusammen: Wer die Politik der Ampel kritisiert, wer auf Fehler von roten und grünen Ministern hinweist, wer nicht in Ehrfurcht vor der bisherigen Leistungsbilanz der Fortschrittskoalition erstarrt, der betreibt das Geschäft der AfD. Fehlt nur noch, dass die CDU das endlich einsieht.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 5. Juni 2023)


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