Presse

21.10.2019 | Die Welt

Ein Mann, ein Wort

„Es gibt Wörter, die stehen unter dem Verdacht, aus der NS-Sprache zu stammen. Neuerdings heißt es auch, „Altparteien“ sei ein Lieblingsbegriff von Joseph Goebbels gewesen. Wir haben mal nachgeschaut. (…)

Seit dem Aufstieg der AfD ist auch das Wort Altpartei unter verschärftem Naziverdacht. Wer es benutzt, muss damit rechnen, dass das Gegenüber die Diskussion abbricht und den Altpartei-Sager an den großen Onlinepranger stellt. Vom konservativen Publizisten Hugo Müller-Vogg (der sich bei Twitter auf die Goebbels-Biografie von Ralf Georg Reuth beruft) über diverse SPD-Politiker bis zum Ratgeber für korrekte Sprache, den das Bündnis Neue deutsche Medienmacher herausgibt, sind sich alle sicher, dass Joseph Goebbels das Wort in die deutsche Sprache eingeführt hat.

Den ältesten Beleg für das Wort habe ich allerdings ausgerechnet in einem geradezu legendär antifaschistischen Blatt gefunden. 1928 steht in der Zeitschrift „Die Weltbühne“, deren Herausgeber Carl von Ossietzky die Nazis später im KZ quälten: „Die durch die Altparteien, die Großparteien rechtens Enttäuschten werden von den Enttäuschern obendrein beschimpft, wenn sie, mit wie unzulänglichen Mitteln auch, sich anderweit zu organisieren suchen.“ Der Satz findet sich in einem Text von Kurt Hiller namens „Die ,Splitter‘-Richter“, in dem der Autor sich gegen die Verteufelung sogenannter Splitterparteien (auch so ein interessantes Wort) wendet. Der Jude Hiller war ein Schriftsteller, der dem Expressionismus und Dadaismus nahestand. Er war Pazifist und Sozialist, entwarf eine Philosophie des Aktivismus, freundete sich mit Magnus Hirschfeld an und kämpfte für die rechte sexueller Minderheiten. Weiter weg von der NSDAP konnte man 1928 gar nicht stehen. Nachdem Hiller das Wort einmal in die Welt gesetzt hatte, machte es keineswegs eine Riesenkarriere. Einmal steht es noch 1931 in der „Linzer Tagespost“. Hier ist mit Altpartei aber eine Mietpartei eines Hauses gemeint, und das Wort wird im Sinne von Altmieter benutzt.

Im Nationalsozialismus war das Wort offensichtlich nicht gebräuchlich. Es wäre auch wenig sinnvoll gewesen, denn die meisten Parteien der seit 1919 existierenden Weimarer Republik (mit Ausnahme des Zentrums und der SPD) waren ja nicht oder nur unwesentlich älter als die 1920 gegründete NSDAP. (…)

(Quelle: „Die Welt“ vom 21. Oktober 2019.)



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