18.05.2023

Frank-Walter Steinmeier, der Nachahmer

Der deutsche Bundespräsident ist nach den Worten des Historikers Hans-Peter Schwarz ein „weltlicher Oberpriester“. Er darf, kann und soll Anregungen geben, Diskussionen initiieren, Vorschläge machen. So hält es auch der derzeitige Hausherr im Schloss Bellevue, Frank-Walter Steinmeier.

In einem Interview mit der „FAZ“ hat er sich jetzt abermals für eine „soziale Pflichtzeit“ ausgesprochen. Wenn alle Deutschen sich „einmal im Leben“ für den Staat einsetzen, würden nach Steinmeiers Ansicht „milieuübergreifende Begegnungen“ gefördert. Eine soziale Pflichtzeit „nicht nur für Jüngere“ ist für Steinmeier sogar „ein Kernthema der Demokratie“.

Das so zu sehen, ist das gute Recht des Staatsoberhaupts, wenngleich seine Forderung so unpräzise ist, dass sich jeder alles Mögliche darunter vorstellen kann. Steinmeier hält sich überdies für den Vater dieser Idee. „Als ich die Debatte angestoßen habe“, lässt er im Gespräch einfließen; Ich, der Bundespräsident. Ganz so, als wäre noch niemand vor ihm auf den Gedanken gekommen, junge Männer und Frauen zum Dienst an der Allgemeinheit zu verpflichten, nicht nur beim Militär, sondern ebenso in den verschiedensten Bereichen – von der Pflege über die Feuerwehr bis zur Entwicklungshilfe.

Dass die Idee eines Pflichtdienstes wieder auf die politische Tagesordnung gekommen ist, verdankt das Landes keineswegs Steinmeier. Dafür hat Annegret Kramp-Karrenbauer gesorgt, die fast vergessene CDU-Vorsitzende (2018-2021) und Verteidigungsministerin (2019-2021). Die hatte als CDU-Generalsekretärin 2018 – sieben Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht – eine allgemeine Dienstpflicht für junge Männer und Frauen über 18 Jahren angeregt.

CDU hat 2022 ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ beschlossen

Der CDU-Politikerin ging es dabei keineswegs um ein Wideraufleben der Wehrpflicht. Die Dienstpflicht sollte auch als Sozialdienst, in der Pflege, bei der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz oder in der Entwicklungshilfe abgeleistet werden können. Die CDU diskutierte längere Zeit über diesen Vorschlag. Schließlich hat der CDU-Bundesparteitag im September 2022 ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ beschlossen. Es soll es allen jungen Menschen ermöglichen, „sich zeitweilig und konkret für unser Land und für unsere Gesellschaft zu engagieren“.

Würde dem Staatsoberhaupt ein Zacken aus seiner virtuellen Krone fallen, wenn er daran erinnerte? Nun gut, aus Sicht des Sozialdemokraten Steinmeier (seine Mitgliedschaft ruht seit Amtsantritt als Präsident) kam der Vorstoß der damaligen CDU-Generalsekretärin aus der falschen politischen Ecke. Doch wenn er es schon nicht fertigbringt, die CDU zu erwähnen, sollte er wenigstens darauf verzichten, sich das „Anstoßen der Debatte“ gutzuschreiben. Denn hier ist der Herr Bundespräsident nur ein Nachahmer, um den Begriff Trittbrettfahrer zu vermeiden.

In dem Interview mit der FAZ zeigt sich Steinmeier an zwei weiteren Stellen weniger als Anreger denn als Mitläufer. Einer Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf fünf Jahre – unterstützt von allen Parteien außer der AfD – kann er „viel abgewinnen“. Dass den Bürgern eines ihrer wenigen und wichtigsten Rechte, nämlich das Wahlrecht beschnitten wird, stört ihn nicht. Da denkt er offenbar (noch) so, wie die meisten Parteipolitiker: Längere Wahlperioden bedeuten weniger Wahlen. Weniger Wahlen bedeuten weniger Wahlkämpfe. Weniger Wahlkämpfe bedeuten weniger Stress und weniger Kosten. Kurz: Längere Wahlperioden erhöhen die politische Lebensqualität der Politiker.

So ganz wohl scheint sich Steinmeier bei der bereits im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigten Verlängerung der Legislaturperiode nicht zu fühlen. So versichert er: „Noch längere Wahlperioden hielte ich allerdings für problematisch.“ Denn Abgeordnete hätten „eine Rechenschaftspflicht vor den Wählerinnen und Wählern haben“. Nur müsste der Präsident halt erklären, warum er eine Aufweichung der „Rechenschaftspflicht“ in der geplanten Form für unbedenklich hält. Denn eine fünfjährige Wahlperiode bedeutet aus Sicht der Wähler: innerhalb von 60 Jahren zwischen 18 und 68 nur noch 12 statt bisher 15 Bundestagswahlen, nur noch 12-mal der Zwang für Politiker, Rechenschaft abzulegen.

Beim Wahlrecht ab 16 ist Steinmeier auf den Kurs der Ampel eingeschwenkt

Ein Bundespräsident hat, wenn er will, nahezu unbegrenzte Freiheiten, eigene Akzente zu setzen. Wer, wie Steinmeier, nicht mehr wiedergewählt werden kann, ist sogar noch freier. Doch beim Wahlrecht ab 16 ist er jetzt auf den Kurs der Ampel eingeschwenkt. Denn vor allem die Grünen versprechen sich von mehr jüngeren Wählern mehr Stimmen.

Im Interview bekennt Steinmeier, er sei lange „skeptisch“ gewesen. Jetzt aber hat er die demografische Veränderung entdeckt, „bei der der Stimmanteil der Älteren erheblich wächst“. Deshalb hält er es für geboten, „darüber nachzudenken, ob wir das Gewicht der Jüngeren durch eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch bei Bundestagswahlen ausgleichen.“

Das wäre, konsequent zu Ende gedacht, eine geradezu revolutionäre Anpassung des Wahlalters an veränderte Lebenserwartungen. Nach der Steinmeierschen Logik müssen wir, wenn wir dank großer medizinischer Fortschritte noch länger leben, vielleicht sogar schon die 14-Jährigen an die Urnen holen, um das Gewicht der Älteren auszugleichen. Wenn die Babyboomer aber nicht mehr die jüngeren Jahrgänge zahlenmäßig übertreffen, wollen wir dann wieder zurück zum Wahlalter mit 18? Eine absurde Vorstellung.

Steinmeier ist seit 2017 Bundespräsident. Er zählt zu den beliebtesten Politikern, weil er eine „Allen-wohl-und-niemand- weh-Strategie“ verfolgt. Geschickt hat er eigene Fehleinschätzungen in der Russlandpolitik eingestanden, als die SPD-Moskau-Connection und die Rolle von Putins deutschem Statthalter Gerhard Schröder immer stärker thematisiert wurde. Er hat Angela Merkel, seine ehemalige Chefin, mit dem höchsten Orden geehrt, um seine außenpolitische Nähe zur Ex-Kanzlerin zu unterstreichen. Seine Unterstützung eines sozialen Pflichtdienstes passt zur Steinmeier-Methode: Zwei Drittel der Deutschen finden das gut.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 18. Mai 2023)


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