09.07.2024

Auf dem Weg zu Hartz V

Es ist gerade mal eineinhalb Jahre her, als Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) von sich und seinem Werk ganz begeistert war. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren", schwärmte er im Bundestag, als die Ampel aus „Hartz IV“ das wohlklingende „Bürgergeld“ machte. Es war mehr jedoch als eine Umbenennung: Der Bezug wurde erleichtert, die Leistungen wurden verbessert, die Sanktionsmöglichkeiten verringert. Kritiker sprachen zu Recht von einem „Bürgergeld light“.

Für die SPD kam es bei dieser Operation vor allem darauf an, endlich „Hartz IV“ hinter sich zu lassen, jene von Rot-Grün durchgesetzte Arbeitsmarkt- und Sozialreform. Die hatte zwar dazu beigetragen, die Beschäftigungslage deutlich zu verbessern. Allerdings führte die „Agenda“-Politik zu einer Entfremdung zwischen SPD und Gewerkschaften sowie zur Westausdehnung der PDS, die sich heute Die Linke nennt.

Zudem wussten die Sozialdemokraten nie so recht, ob sie auf diese Reform stolz sein sollten oder sich wegen ihr schämen müssten. Deshalb versäumten sie es, der Bevölkerung den Sinn dieser Reform zu erklären. Stattdessen überließen sie der Linken das Feld, die mit dem Slogan „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ eine Zeit lang durchaus erfolgreich war.

Kürzlich wurden die Sanktionsmöglichkeiten schon einmal verschärft

Heute kommt die Koalition nicht an der Tatsache vorbei, dass seit dem Wechsel von „Hartz IV“ zum Bürgergeld die Zahl der Leistungsempfänger deutlich angestiegen ist. Zugleich ist die Zahl derer, die einen angebotenen Job angenommen haben, um knapp 6 Prozent zurückgegangen. Das sind keine Horrorgeschichten von angeblich herzlosen Neoliberalen, das wurde vom Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit ermittelt.

Beim mühseligen Haushaltskompromiss der Ampel-Parteien kam „die größte Sozialreform“ auf Drängen der FDP nicht ungeschoren davon, obwohl die Freien Demokraten Heils Wunderwerk mitgetragen hatten. Doch hatte die Regierung schon vor einiger Zeit erkennen müssen, dass es offenbar bei Menschen ohne Beschäftigung die Neigung gibt, das Bürgergeld als etwas zu verstehen, das jedem Bürger zusteht. Deshalb wurden kürzlich die Sanktionsmöglichkeiten für die verschärft, die vom Staat gefördert, aber nicht gefordert werden wollten.

Jetzt soll das Bürgergeld abermals verändert werden. Heil spricht beschönigend von einem „Nachsteuern“. Wobei man nicht nachsteuern müsste, wenn man sich nicht von Anfang an der Illusion hingegeben hätte, alle Kunden der Jobcenter hätten nur eines im Sinn: ganz schnell einen Job zu bekommen, ganz gleich, in welcher Branche und zu welcher Entlohnung.

Es soll wieder mehr gefordert werden

Weil Wunsch und Wirklichkeit nicht immer deckungsgleich sind, muss Heil das Bürgergeld so „nachjustieren“. Es soll wieder mehr gefordert werden: schärfere Sanktionen für alle, die Termine beim Jobcenter nicht wahrnehmen oder Jobs nicht annehmen, Sanktionen bei Schwarzarbeit, das sogenannte Schonvermögen muss schneller als bisher angetastet werden, um die Staatskasse zu entlasten, auch gilt ein Arbeitsweg von bis zu drei Stunden (hin und zurück) künftig für Transferleistungsempfänger als zumutbar.

Was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grün) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) jetzt ausgehandelt haben, stößt, wie nicht anders zu erwarten, bei SPD und Grünen auf Widerspruch. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wendet sich gegen die Annahme, „da säßen Hunderttausende faule Leute im Bürgergeld, die alles dafür tun, um nicht arbeiten gehen zu müssen.“ Das sei „fachlich einfach nicht richtig“. Wobei er offenbar den Spitzen der rot-grün-gelben Koalition unterstellt, sie ließen sich von falschen Annahmen leiten.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Dagmar Schmidt, stieß in dasselbe Horn. Das Bürgergeld werde „inzwischen überwiegend populistisch diskutiert“. Die Fraktion werde die „tatsächlichen Arbeitsmarkteffekte“ der Beschlüsse prüfen. Aus der Grünen-Fraktion äußerte Beate Müller-Gemmeke Bedenken: „Das sind alles Maßnahmen, die uns bei der Integration in Arbeit kein bisschen weiterhelfen.“ Kühnert hatte immerhin einen Alternativvorschlag. Er warb im ZDF dafür, den Mindestlohn auf 14 oder 15 Euro zu erhöhen. „Das wäre eine wirkliche Einsparung beim Bürgergeld.“ Das könnte man so interpretieren, dass mehr Bürgergeldbezieher ohne Ausbildung und ohne besondere Kenntnisse arbeiten würden, wenn der Mindestlohn höher wäre als die derzeitigen 12,41 Euro. Was wiederum eine Bestätigung der These wäre, dass es eben doch Leistungsempfänger gibt, denen der Abstand zwischen Bürgergeld und dem erreichbaren Nettolohn zu gering ist, um sich täglich auf den Weg zur Arbeit zu machen.

So ist das eben mit der größten Sozialreform seit 20 Jahren. Innerhalb von nicht einmal 2 Jahren muss sie zum zweiten Mal korrigiert werden. Falls SPD und Grüne mitmachen, was die Ampel-Spitzen vereinbart haben, geht es nicht um ein paar kleine Änderungen. Das Bürgergeld würde dann „Hartz IV“ immer ähnlicher. Wenn die Ampel ehrlich sein will, gibt es nur eines: die Umbenennung des „nachgesteuerten“ Bürgergelds in „Hartz V“.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 9. Juli 2024)


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