15.07.2024

Der DFB sollte die Politik den Politikern überlassen

Fußball ist und bleibt die herrlichste Nebensache der Welt. Auch wenn sie für viele zeitweise zur Hauptsache werden kann, wie jetzt bei der Europameisterschaft. Dabei kann man eigentlich nicht von „dem Fußball sprechen“. Denn dieser Sport besteht aus zwei Abteilungen – den Amateuren und den Profis. Was in den 24.000 Vereinen mit 139.000 Mannschaften und knapp 2,3 Millionen Spielern geleistet wird, ist beachtlich. Da wird Jungen wie Mädchen, Jugendlichen wie Erwachsenen nicht nur eine Alternative zum Daddeln auf dem iPhone oder der Freizeitgestaltung als Couch-Potato geboten. Da leisten zugleich Zehntausende Ehrenamtliche unglaublich viel für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für die Integration von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen.

Die Spitzenfunktionäre des Deutschen Fußball-Bund (DFB) weisen gern und zu Recht auf diese gesellschaftliche Funktion des Sports hin. Das ändert nichts daran, dass der Profifußball in erster Linie Teil der Unterhaltungsindustrie ist. Die Bundesligastars gehen nicht auf den Platz, um im Volk ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Sie strengen sich an, weil sie Geld verdienen wollen – nach Möglichkeit von Jahr zu Jahr mehr. Die Vorstände der 40 Dax-Konzerne beziehen im Durchschnitt knapp 4 Millionen Euro. Dafür würden viele Superstars sich nicht ein oder zwei Mal pro Woche 90 Minuten lang anstrengen.

Natürlich wissen die ebenfalls sehr gut entlohnten DFB-Bosse, dass ihre Fußballwelt gespalten ist. Umso krampfhafter versuchen sie, das Positive aus dem Amateurbereich auf den Fußball als Ganzes zu übertragen. So meinte DFB-Präsident Bernd Neuendorf in seinem Fazit der „Euro 2024“, diesen vier Wochen einen politischen Anstrich geben zu müssen. Die vergangenen Wochen hätten bewiesen, dass Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz im Fußball“, hätten. Die EM sei hinsichtlich Integration und Toleranz ein positives Signal gewesen. "Das Turnier hat einmal mehr gezeigt: Sport steht für Gemeinschaft und Gemeinsinn, Sport und Fußball stehen für Teilhabe."

Die Fußballwelt ist nicht so heil, wie sie gerne dargestellt wird

Schön gesagt, nur war’s halt nicht so ideal, wie der DFB-Präsident, einst SPD-Funktionär und enger Mitarbeiter von Olaf Scholz, es darstellt. Der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt lagen schon eine Woche vor dem Finale rund 800 strafrechtlich relevante Hasskommentare aus den sogenannten sozialen Netzwerken vor. Sie richteten sich gegen Spieler, Trainer und Betreuer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sowie gegen deutsche EM-Schiedsrichter. Auch der massenhaft von türkischen Fans gezeigte Wolfsgruß widerspricht der These, dass die Fußballwelt so heil ist, wie sie gerne dargestellt wird. Das gilt gleichfalls mit Blick auf die – glücklicherweise – wenigen deutschen Fans, die „Ausländer raus“ grölten, den Hitlergruß zeigten oder „Sieg Heil“ riefen. Dass auf den von der UEFA-kontrollierten – und zensierten – Fernsehbildern die fanatischen türkischen Nationalisten nicht zu sehen waren, zeigt das Bestreben des Verbandes, die bisweilen erschreckende Wirklichkeit auszublenden.

Der DFB versucht ebenfalls, seine Welt schön zu reden. Doch spiegelt sich in der Fußballwelt eben der Zustand der Gesellschaft wider. Und die ist ebenso wenig von „Gemeinschaft und Gemeinsinn“ geprägt wie der Fußball. Offenbar ist Julian Nagelsmann wie sein oberster Chef überzeugt, dem Fußball ein gesellschaftliches „Upgrade“ verpassen zu müssen. Zweifellos hat Nagelsmann die deutsche Mannschaft besser gemacht, auch wenn sie mit dem Erreichen des Achtelfinales bei der Heim-EM nur das Minimalziel erreicht hat. Doch haben die Spieler um Toni Kroos im Vergleich zu den letzten Turnieren ihre Anhänger mit ihrer Spielweise teilweise begeistert; und gekämpft haben sie auch.

Wäre das deutsche Team jetzt so kläglich gescheitert wie vor zwei Jahren bei der WM in Katar unter Hansi Flick, hätte Nagelsmann sich wohl nicht berufen gefühlt, eine direkte Linie von der verbesserten Leistung seiner Elf zu einem gesellschaftlichen Aufbruch des ganzen Landes zu ziehen. Doch wünschte er sich in seiner Pressekonferenz „für dieses Land, dass wir verstehen, dass gemeinsam immer besser geht". Und: "Ich glaube, wir können alle anpacken, dass es nicht so traurig ist, wie es gerade wirkt und nicht alles schwarzgemalt werden muss, wie es gerade schwarzgemalt wird. Man kann immer Probleme sehen - und wir haben Probleme im Land. Man kann aber auch immer von Lösungen sprechen."

Nach dem Jubel über einen deutschen Sieg trennen sich wieder die Wege der Jubler

Nagelsmann redete wie ein Bundespräsident an Weihnachten, lobte unser wunderschönes Land, plädierte für Zusammenstehen und Zusammenhalten. War es Überheblichkeit oder Naivität? Fühlte sich da einer zu Höherem berufen, weil er bei der Auswahl seines Kaders viel Geschick an den Tag gelegt hatte? Oder glaubt er wirklich, dass man das, was sich rund um die EM-Stadien abgespielt hat, mit dem politischen und gesellschaftlichen Geschehen gleichsetzen kann? Irgendwie erinnerte Nagelsmann bei seinem Ausflug in die Politik an Olaf Scholz. Der Kanzler findet auch immer alles gut – nicht zuletzt sich selbst.

Eines scheint Nagelsmann übersehen zu haben: Wenn das halbe Land – wieder – hinter seiner Mannschaft steht, sagt das nichts über den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft. Nach dem Jubel über einen deutschen Sieg trennen sich wieder die Wege der Jubler. Den einen geht es wirtschaftlich gut, den anderen schlecht, die einen wählen SPD, die anderen CDU, die einen haben kein Problem mit immer mehr Migranten, die anderen sorgen sich wegen der damit verbundenen Folgen. Selbst in Bezug auf den Fußball sind sich nicht alle einig: Für die einen war Niclas Füllkrug als Joker vom Dienst ein genialer Schachzug, für die anderen war das Nagelsmanns größter Fehler.

Gemeinsam hinter der eigenen Nationalmannschaft zu stehen, ist eben nur schwer vergleichbar mit dem Zusammenleben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Selbst wenn die große Mehrheit über die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundprinzipien übereinstimmt, können bei einzelnen Fragen unversöhnliche Gegensätze aufeinanderprallen. Da geht nicht alles schön „gemeinschaftlich“. Und wenn hierzulande viele Menschen nicht positiv gestimmt sind, weil sie für sich wirtschaftlich schlechtere Zeiten befürchten, dann wirkt es seltsam, wenn der Coach einer Truppe von Millionären und Multimillionären dazu aufruft, nicht alles schwarz zu malen.

Die Europameisterschaft war ein Erfolg. Die Deutschen waren freundliche Gastgeber und gute Organisatoren, wenn man von der Bahn einmal absieht. Die Stimmung in den Stadien und auf den Fan-Meilen war heiter, die Nagelsmann-Elf besser als die Flick-Truppe. Hingegen wirken Versuche, das alles gesellschaftspolitisch zu überhöhen, verkrampft und lächerlich. Der DFB und seine Führungskräfte täten gut daran, die Politik den Politikern zu überlassen und die Weihnachtsansprachen den Bundespräsidenten. Schlimm genug, wenn Politiker versuchen, den Fußball zu politisieren. Da sollte sich der DFB im übertragenen Sinn lieber an die Devise des verstorbenen „Kaisers“ Franz Beckenbauer halten: „Geht's raus und spielt's Fußball“.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 15. Juli 2024)


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