20.07.2022

Den Krieg „einfrieren“? Kretschmers Worte offenbaren eine bedenkliche Haltung

Irgendwie passen sie zusammen, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der abberufene ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Der eine schert gerne aus der Linie seiner Partei aus, wenn er das inhaltlich oder aus sächsischer Perspektive für angemessen hält. Der andere pfeift auf alle diplomatischen Gepflogenheiten, auf Höflichkeit und Stil, wenn er für sein Land in rhetorische Schlachten zieht.

„Barrdong Herr MP Kretschmer“, schriebt Melnyk auf Twitter, die sächsische Aussprache von „pardon“ karikierend. „Die Ukrainer treten dafür ein, dass Sie Ihren Kopf in ein Tiefkühlregal stecken, um Ihre heißen Russland-Fantasien einzufrieren. Ihre ewige Anbiederung an Kriegsverbrecher Putin ist ekelerregend."

Kretschmer und der Putin-Krieg: Viel weiter von der Position der Regierung entfernt sind nur noch AfD und Linke

Ekelerregend fand der streitbare „Diplomat“, dass Kretschmer gefordert hatte, „dafür eintreten, dass dieser Krieg eingefroren wird.“ Zudem wandte sich der Sachse, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist, gegen die vorherrschende Meinung, dass der Krieg von der Ukraine gewonnen werden müsse und dass Deutschland nie wieder Rohstoffe von Russland beziehen dürfe. Viel weiter von der Politik der Bunderegierung wie der CDU/CSU entfernt als Kretschmer sind nur noch die AfD und die Linke. Von Linksaußen kam inzwischen sogar Beifall für den CDU-Mann.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kretschmer seinen eigenen Kurs verfolgt. Bereits die unter Bundeskanzlerin Merkel verhängten Sanktionen nach der Krim-Annexion sah er kritisch, weil ostdeutsche Unternehmen Aufträge verloren. Er hat sich im April um ein Gespräch mit Wladimir Putin bemüht, als die Bundesregierung bereits auf Distanz gegangen war. Nord Stream 2 hat er noch verteidigt, als Putin seine Truppen und Panzer bereits mit Stoßrichtung Ukraine in Stellung gebracht hatte. Und Panzerlieferungen an die Ukraine hat er strikt abgelehnt.

Kretschmer hat sicherlich recht, dass Deutschland ebenso wie andere westliche Staaten nach einem wie immer geartete Ende dieses Krieges mit Russland sprechen und wirtschaftliche Beziehungen unterhalten wird. Höchst unklug wäre es indes, bei Rohsoffen sich jemals wieder so in die Abhängigkeit eines einzigen Staates zu begeben, wie Deutschland das gegenüber Russland getan hat.

Dass sich Melnyk echauffiert, ist nicht so wichtig - viel bedenklicher ist Kretschmers Haltung

Doch bleibt völlig offen, was Kretschmer unter dem „Einfrieren“ des Kriegs versteht? Soll Putin – während die Waffen schweigen – in den annektierten Gebieten ungestört Säuberungen vorantreiben und seine Macht festigen können? Soll die Ukraine sich in dieser Zeit daran gewöhnen, dass es die Kontrolle über 20 Prozent ihres Territoriums verloren hat? Gut möglich, dass Putin mit einer solchen Lösung – vorerst – einverstanden wäre; die Ukrainer wären es sicherlich nicht.

Kretschmer befürchtet, bei Fortsetzung des Krieges drohe die wirtschaftliche Kraft verloren zu gehen, die nötig sei, um die Sicherheit zu organisieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Das heißt übersetzt: Die Solidarität mit der Ukraine wird für uns auf Dauer zu teuer – wirtschaftlich wie politisch. Dass der ukrainische Ex-Botschafter in Berlin sich darüber auf unflätige Weise empört, ist nicht so wichtig.

Viel bedenklicher ist die Haltung Kretschmers. Sie zielt unverhohlen auf die Stimmung im Osten. Dort haben 40 Jahre sozialistischer Indoktrination bei vielen Menschen ihre Spuren hinterlassen – nämlich ein gewisses Verständnis für die „Befreier“ von einst und ein starkes Misstrauen gegenüber den USA und der Nato. Kretschmer weiß das – und bedient genau diese Stimmung.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 20. Juli 2022)


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